Geologie der Alpen Teil 2: Das Penninikum
Vorlesungsskript von Nikolaus Froitzheim
Das Penninikum wird eingeteilt in die Oberen, Mittleren und Unteren Penninischen Decken sowie die Subpenninischen Decken. Die Oberen Penninischen Decken stammen aus dem Bereich des Piemont-Ligurischen Ozeans, die Mittleren aus dem Briançonnais-Sporn des Iberischen Kontinents, die Unteren aus dem Valais-Ozeanbecken. Die Subpenninischen Einheiten schließlich stammen aus dem distalen (=ozeannahen) Teil des Europäischen Kontinentalrands. Dementsprechend sind die Penninischen Decken teils von kontinentaler, teils von ozeanischer Herkunft. Penninische Einheiten kommen sowohl in metamorpher Form in den internen Teilen der Alpen vor, als auch unmetamorph im externen Teil, nahe am Alpenrand. Die ersteren wurden im Zuge südgerichteter Subduktion in die Tiefe gebracht und an die Basis des alpinen Orogenkeils angegliedert („underplating“), die letzteren wurden bereits nahe der Oberfläche von ihrer jeweiligen Unterlage abgeschert und an die Spitze des Orogenkeils angegliedert (frontale Akkretion). Generell wurden jeweils die nördlicher beheimateten Decken unter die südlicheren geschoben, sodass die Regel „je höher, desto südlicher“ gilt. Diese Anordnung wurde jedoch durch Deckenverfaltung (besonders im internen Teil) und durch out-of-sequence-Überschiebungen (besonders im externen Teil) gestört und teilweise umgekehrt. In einigen Fällen ist die paläogeographische Zuordnung deshalb noch unklar oder strittig.
Kapitel 6: Die Oberen Penninischen Decken in den Walliser Alpen
Die Oberen Penninischen Decken umfassen ozeanische Kruste und Sedimentbedeckung des Piemont-Ligurischen Ozeans, auch bekannt als Alpine Tethys. Zusätzlich enthalten sie einige Decken, die aus kontinentaler Kruste bestehen, nämlich die Sesia-Decke (= Sesia-Lanzo-Zone) und die Dent-Blanche-Decke in den westlichen Zentralalpen und Westalpen sowie die Margna-Decke in den Ostalpen. Diese drei Decken stammen von einem kontinentalen Fragment oder Mikrokontinent im Piemont-Ligurischen Ozean, das als Cervinia oder auch Margna-Sesia-Fragment bezeichnet wird. Sesia- und Dent-Blanche-Decke wurden ursprünglich von E. Argand, dem ersten modernen Erforscher der penninischen Decken, als penninisch bezeichnet und von R. Staub mit der oberpenninischen Margna-Decke in Graubünden parallelisiert. Später wurden sie fälschlich von demselben R. Staub mit der unterostalpinen Err- und Bernina-Decke parallelisiert und deshalb für ostalpin erklärt. Diese Zuordnung hat sich in Teilen der Literatur bis heute gehalten und wurde durch populärwissenschaftliche Publikationen („Das Matterhorn aus Afrika“) im öffentlichen Bewusstsein verankert. Die Margna-Decke in Graubünden wird jedoch von Ophiolithen (Platta-Decke) überlagert, und auch im Hangenden der Sesia-Decke kommen entlang der Periadriatischen Linie Linsen von Ophiolithen vor. Da die Grenze zwischen Penninikum und Ostalpin definitionsgemäß über den strukturell höchsten und damit am weitesten südlich beheimateten Piemont-Ligurischen Ophiolitheinheiten gezogen wird, zählen wir Sesia-, Dent-Blanche- und Margna-Decke zum oberen Penninikum und unterscheiden also kontinentale und ozeanische Obere Penninische Decken.
Im klassischen Gebiet der Walliser Alpen, die früher als Pennnische Alpen bezeichnet wurden und so dem Penninkum den Namen gegeben haben, werden die Oberen Penninischen Decken durch die ozeanischen Einheiten der Zermatt-Saas-Decke und der Tsaté-Decke vertreten, durch die kontinentalen Einheiten der Dent-Blanche- und Sesia-Decke, sowie durch einige kleinere kontinentale Linsen (z.B. Etirol-Levaz Scholle) und Metasedimentzüge (Cimes-Blanches-Decke) (Abb. 6-1, 6-2).
Die Zermatt-Saas-Decke besteht aus ozeanischer Kruste (Serpentinit, Gabbro, Kissenbasalt) und ihrer ehemaligen Bedeckung aus Radiolariten und kalkig-pelitischen Gesteinen, alpin eklogitfaziell metamorph (Abb. 6-3). Die Metamorphose erreicht im Gebiet des Lago di Cignana im Valtournenche Utrahochdruck-Bedingungen; dort wurden Coesit und Mikrodiamant gefunden. Das Alter der eklogitfaziellen Überprägung bei liegt zwischen 50 und 40 Millionen Jahren im Eozän. Die Intrusion der Gabbros und damit die Bildung der ozeanischen Kruste wurde in den Dogger datiert (ca. 160 Ma). Schollen von kontinentaler Kruste, die im Dach der Zermatt-Saas-Zone liegen und von den Ausgangsgesteinen her der Sesia-Decke ähneln (Etirol-Levaz-Scholle) wurden im Eozän mit den Ophiolithen zusammen subduziert und eklogitfaziell überprägt; sie sind wahrscheinlich als extensionale Allochthone zu interpretieren, also als Schollen, die bereits beim Aufbrechen des Ozeans im Jura durch Detachment faults vom Kontinentalrand getrennt wurden. Wenn das so ist, stellten die Zermatt-Saas-Ophilithe zumindest teilweise ursprünglich einen Kontinent-Ozean-Übergang dar.
Die Tsaté-Decke, die zweite und tektonisch höhere ozeanische Einheit im Oberen Penninikum der Walliser Alpen, wird von ähnlichen Gesteinen aufgebaut wie die Zermatt-Saas-Decke: Serpentinit, Gabbro, Basalt und eine Sedimentbedeckung mit Radiolarit an der Basis, überlagert von mächtigen Kalkschiefern. Wie die Zermatt-Saas-Decke ist sie stark zerschert und ausgewalzt, sodass die ursprünglichen Lagerungsbeziehungen kaum erhalten sind. Im Unterschied zur teilweise ultrahochdruckmetamorphen Zermatt-Saas-Decke (25-30 kbar) hat die Tsaté-Decke deutlich niedrigere Drücke von maximal 13 bis 18 kbar erlebt, an der Grenze Zermatt-Saas/Tsaté „fehlen“ also ca. 12 kbar.
Zwischen der Zermatt-Saas-Decke und der Tsaté-Decke liegt als dünnes Band die hauptsächlich von Quarziten (Untertrias) und Marmoren (Trias, Jura) aufgebaute Cimes-Blanches-Decke (Abb. 6-4, 6-5). Vom Metamorphosegrad her entsprechen die Gesteine der Cimes-Blanches-Decke etwa der Tsaté-Decke. Sie weisen jedenfalls deutlich niedrigere Metamorphose auf als die Zermatt-Saas-Decke. Tsaté-Decke, Cimes-Blanches-Decke und die Frilihorn-Decke, eine weitere, dünne Lage von Quarziten und Marmoren innerhalb der Tsaté-Decke, werden als Combin-Zone zusammengefasst. Alter und Fazies der Sedimente der Cimes-Blanches-Decke zeigen, dass diese Gesteine nicht auf ozeanischer, sondern auf kontinentaler Kruste abgelagert wurden. Nördlich der Dent-Blanche-Decke (Abb. 6-1, 6-2) liegt die Cimes-Blanches-Decke direkt auf der mittelpenninischen St.Bernard-Decke, da die Zermatt-Saas-Decke dort nicht vorkommt. Die Lage der Cimes-Blanches-Decke, eingeklemmt zwischen den ozeanischen Serien der Zermatt-Saas-Decke und der Tsaté-Decke, lässt sich auf zweierlei Weise erklären: entweder (1) gehören diese Sedimente zur Bedeckung der St.Bernard-Decke (Briançonnais) und wurden durch südostgerichtete Scherung (Rücküberschiebung oder flache Abschiebung) in ihre Lage über der Zermatt-Saas-Decke gebracht, oder (2) sie gehörten ursprünglich zur Bedeckung der Sesia- und Dent-Blanche-Decke (Cervinia) und wurden bei der nordwestgerichteten Überschiebung der Tsaté-Decke über die Sesia-/Dent-Blanche-Decke von dieser abgeschert und auf die Zermatt-Saas-Decke, bzw. weiter im Norden auf die St.Bernard-Decke, überschoben, bevor in einem zweiten Schritt die Sesia-/Dent-Blanche-Decke „out of sequence“ nach Nordwesten überschoben wurde und diese Einheiten unter sich begrub. Diese zweite Möglichkeit erscheint aufgrund strukturgeologischer Beobachtungen (Transportrichtungen von Scherzonen) im Moment wahrscheinlicher. Sie impliziert, dass die Tsaté-Decke südöstlich der Sesia-/Dent-Blanche-Decke beheimatet ist.
Die Sesia-Decke und die Dent-Blanche-Decke stellen zwei Teile einer ursprünglich zusammenhängenden Überschiebungsdecke dar, die im Scheitelbereich einer Sattelstruktur (Vanzone-Antiform) durch Erosion unterbrochen wurde. Beide Deckenteile enthalten drei Typen von vormesozoischem Grundgebirge: (1) Gneise, Metabasite und Marmore mit einer spätvariszischen granulitfaziellen Metamorphose, also ehemalige variszische Unterkruste (Valpelline-Serie in der Dent-Blanche-Decke, Seconda Zona Dioritico-Kinzigitica, kurz „2DK“, in der Sesia-Decke), (2) variszisches oberkrustales Grundgebirge mit reichlich Orthogneisen (z.B. Arolla-Serie in der Dent-Blanche-Decke) und (3) permische Gabbros, z.B. am Matterhorn (Abb. 6-7). Außerdem gibt es dünne Lagen von Gesteinen der ehemaligen mesozoischen Bedeckung, die intensiv mit dem Grundgebirge verfaltet sind. Die alpine Metamorphose erreicht in der Sesia-Decke die Eklogitfazies (bei ca. 70 bis 65 Ma) und in der Dent-Blanche-Decke die Blauschieferfazies, gefolgt von verbreiteteter Überprägung in der Grünschieferfazies.
Abb. 6-1: Tektonische Karte der Oberen Penninischen Decken in den Walliser Alpen. Olivgrün: Zermatt-Saas-Decke; moosgrün: Tsaté-Decke; gelb: Sesia- und Dent-Blanche-Decke; orange: Sesia-ähnliche kontinentale Schollen an der Obergrenze der Zermatt-Saas-Decke; schwarz: Cimes-Blanches-Decke.
Abb. 6-2: Schematisches Profil in NW-SE-Richtung durch die Mitte des in Abb. 6-1 dargestellten Kartenausschnittes. E.-L.: Etirol-Levaz-Scholle; P.L.: Periadriatische Linie; R.-S.L.: Rhone-Simplon-Linie. Signaturen wie in Abb. 6-1. Vereinfacht nach Pleuger et al. 2007.
Abb. 6-3: Eklogit der Zermatt-Saas-Zone. Dieser Gesteinsblock stammt von der Lokalität Pfulwe und wurde in einer Grünanlage bei der Kirche von Zermatt aufgestellt. Das Gestein war ursprünglich ein Pillow-Basalt. Im rechten Teil des Bildes ist der ovale Umriss eines Basaltkissens zu erkennen. Der Basalt, der in der Jurazeit am Boden des Piemont-Ligurischen Ozeans ausgeflossen war, wurde bei der Subduktion im Eozän (zwischen 50 und 40 Ma) unter Bedingungen der Eklogitfazies umgewandelt.
Abb. 6-4: Grand Tournalin (links) und Monte Roisetta (rechts), zwei Berge im Kamm zwischen Val d’Ayas (Vordergund) und Val Gressoney. Die eklogitfaziellen Ophiolithe der Zermatt-Saas-Decke (unten) werden von den niedriger metamorphen Ophiolithen der Tsaté-Decke (oben) durch das helle Band der Cimes-Blanches-Decke getrennt, das hauptsächlich aus Quarzit und Marmor besteht.
Abb. 6-5: Skizze zu Abb. 6-4
Abb. 6-6: Das winterliche Matterhorn, von Westen (Gipfel der Dent d’Herens) gesehen. Foto: Roger Dolder.
Abb. 6-7: Skizze zu Abb. 6.6. Die drei großen Gesteinskomplexe der Dent-Blanche-Decke, Metagabbro, Valpelline-Serie und Arolla-Serie, bauen das Matterhorn auf. Die Gneise der Arolla-Serie bilden eine liegende Faltenstruktur. Auf der anderen Seite der Gipfelpyramide, in der Ostwand, ist eine dünne Lage von mesozoischen Kalkschiefern in den obersten Teil der Arolla-Serie eingefaltet.
Kapitel 7: Die Mittleren, Unteren und Sub-Pennnischen Decken in den Walliser Alpen
Das mittlere Penninikum (Briançonnais) wird in den Walliser Alpen durch die Bernhard-Decke vertreten, das untere Penninikum (Valais) durch die Zone von Sion-Courmayeur und die Antrona-Ophiolithe. Die Zone von Sion-Courmayeur zeichnet sich durch schiefrige, wenig erosionsresistente Sedimentgesteine von vorwiegend Kreide-Alter aus; deshalb folgt das tief erodierte Walliser Rhonetal dieser Zone. Die Berge südlich davon, in die die Seitentäler des Rhonetals, Saastal, Mattertal, Turtmanntal, Val d’Anniviers, Val d’Hérens und Val de Bagnes eingeschnitten sind, werden von den schwerer zu erodierenden Gneisen der Bernhard-Decke aufgebaut. Auch der Dom, der höchste ganz in der Schweiz gelegene Berg (4545 m), gehört zur Bernhard-Decke. Die südöstlich gelegene Monte-Rosa-Decke mit der Dufourspitze (4634 m) hat nach meiner Auffassung eine noch tiefere, subpenninische tektonische Position inne (Abb. 7-1).
Die Bernhard-Decke (Nappe du St. Bernard) besteht in den Walliser Alpen aus drei Teildecken (Abb. 7-2). Es sind dies, von oben nach unten - im Kartenbild von Süden nach Norden - die Mont- Fort-Decke, die Siviez-Mischabel-Decke und die Decke der Zone Houillière. Zusätzlich wurde eine zwischen Zone Houillière und Siviez-Mischabel-Decke eingeschaltete Pontis-Decke unterschieden, die sich durch triadische Quarzite und Marmore auszeichnet; neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Trias zur Bedeckung der Zone Houillère gehört und die Pontis-Decke verliert damit ihre Berechtigung. Nur ganz am Westrand der Walliser Alpen schaltet sich zwischen der Zone Houllière und der Siviez-Mischabel-Decke eine weitere Decke ein, die aus variszischem Kristallin bestehende Ruitor-Zone. Die Teildecken der Bernhard-Decke waren in einem frühen Stadium Faltendecken mit einem Kern aus Kristallin und Normal- und Verkehrtschenkeln aus Mesozoikum. Sie wurden später von bedeutenden Scherzonen zerschnitten, die diesen Zusammenhang überprägten und teilweise aufhoben. Der Kontakt zwischen der Mont-Fort-Decke und der tektonisch höheren, oberpenninischen Tsaté-Decke ist isoklinal verfaltet; Gesteine der Tsaté-Decke sind als isoklinale Mulden in die Mont-Fort-Decke eingefaltet (Abb. 7-2). Dies lässt vermuten, dass die Überschiebung der Tsaté-Decke auf das Briançonnais noch vor der Bildung der Faltendecken stattfand. Solche Verhältnisse sind typisch für den gesamten Deckenbau des Penninikums in den Walliser Alpen: Die ursprünglichen Überschiebungen, die während der Subduktion die ozeanischen und kontinentalen Einheiten aufstapelten, wurden bei der Bildung der großen Faltendecken wie Monte-Rosa- und Bernhard-Decke mitgefaltet. Nach der Bildung der Faltendecken entstanden in einer weiteren Deformationsphase große Rückfalten wie die Mischabel-Rückfalte, durch welche sich die Siviez-Mischabel-Decke nach Südosten über die Stirn der Zermatt-Saas-Decke zurückwölbt (Abb. 7-2).
Mont-Fort-Decke und Siviez-Mischabel-Decke werden von variszisch metamorphem Grundgebirge mit einer postvariszischen Bedeckung aufgebaut. Das Grundgebirge enthält verschiedene Gneise, Schiefer und Amphibolite, teilweise auch variszische Eklogite. Es wird in der Siviez-Mischabel-Decke von einem permischen Granit intrudiert, der alpin metamorphosiert und verformt wurde (Orthogneis von Randa). Die Bedeckung umfasst permische Klastika (Konglomerate, Sandsteine, Pelite), die vorwiegend als Schiefer vorliegen, verzahnt mit gleichalten Metavulkaniten (u.a. Rhyolithe). Darüber folgen Untertrias-Quarzite. Die umfassendste mesozoische Schichtfolge liegt im Normalschenkel der Siviez-Mischabel-Decke vor: die Barrhorn-Serie (Abb. 7-3, 7-4). Über den Quarziten folgen hier Kalkschiefer („Röt“), Kalkmarmore (Mitteltrias) und Dolomite (Obertrias). Der Lias fehlt, stattdessen liegt Dogger mit Brekzien diskordant auf verkarsteter Obertrias. Diese Schichtlücke ist typisch für die Briançonnais-Decken der Westalpen und für die Decke der Préalpes Médianes Rigides (siehe Kapitel Préalpes); mit letzterer stimmt die Fazies der Barrhorn-Serie nahezu perfekt überein. Der Oberjura wird durch Kalkmarmor vertreten, darauf liegen wiederum diskordant Couches Rouges (pelagische Kalkmergel) der Oberkreide und des Alttertiärs; auch dies ist typisch für das Briançonnais. Den Abschluss bildet eozäner Flysch. Teilweise wurde die Barrhorn-Serie vom Grundgebirge der Siviez-Mischabel-Decke abgeschert und etwas nach Südosten zurückbewegt. Dadurch bildet ihr Südende eine isoklinale, nach Süden schließende Falte, um die die Tsaté-Decke mitsamt der Karbonatlage der Frilihorn-Decke herumgefaltet ist (Fig. 7-3, 7-4).
Die Zone Houllière (=kohleführende Zone) ist die unterste, nördlichste Teildecke der Bernhard-Decke und steht an den unteren Abhängen auf der Südseite des Rhonetals an. Sie besteht aus metamorphen, kohleführenden, klastischen Sedimenten des Oberkarbon und Perm, die von Quarziten und Kalkmarmoren der Trias sedimentär überlagert werden. Östlich des Val d’Anniviers keilt die Zone Houillière aus; weiter östlich schalten sich aber wieder ähnliche Serien in Gestalt der Unteren Staldener Zone ein. Die alpine Metamorphose der Bernhard-Decke entspricht der Grünschieferfazies; Relikte von Glaukophan deuten in der Siviez-Mischabeldecke und der Mont-Fort-Decke ein vorhergehendes, druckbetontes Stadium an (Blauschieferfazies). Die alpine Metamorphose kann nicht älter als Eozän sein, da in der Barrhorn-Serie eozäne Sedimente davon betroffen sind.
An ihrem Südostende ist die Bernhard-Decke mit den Antrona-Ophiolithen intensiv verfaltet. Diese umfassen Serpentinite, Metabasalte und Metagabbros (mit Eklogitrelikten) sowie deren ehemalige Sedimentbedeckung aus Kalkschiefern. U-Pb-Datierung von Zirkon aus Metagabbros ergab ein jurassisches Kristallisationsalter, ähnlich wie bei den Ophiolithen der Zermatt-Saas-Decke. Vom Hauptverbreitungsgebiet der Antrona-Ophiolithe ausgehend, zieht ein dünner Ausläufer dieser Gesteine zunächst nach Süden und dann, um das Scharnier der nordost-südwest-streichenden Vanzone-Falte (Antiform) herumgebogen, nach Nordosten. Bei diesem Ophiolithzug handelt es sich nicht um die „Wurzel“ der Antrona-Ophiolithe, sondern um eine muldenförmige Einfaltung, die seit langem als Antrona-Mulde bezeichnet wird („Antrona Synf.“ in Abb. 7-2). Ein weiterer Zug der Ophiolithe lässt sich nach Südwesten verfolgen; er trennt, steil nordwestwärts einfallend, die Monte-Rosa-Decke im Südosten von der Portjengrat-Einheit und der Stockhorn-Einheit im Nordwesten (Abb. 7-5, 7-6). Die letzgenannten beiden Einheiten bestehen aus Gneis mit mesozoischer Bedeckung und werden zur Bernhard-Decke gerechnet. Die Grenzzone zwischen Monte-Rosa-Decke und Portjengrat- und Stockhorn-Einheit, die Furgg-Zone, weist starke Verformung auf; sie enthält außer den genannten Ophiolithen auch Metaarkosen (Perm), Quarzite und Marmore (Mesozoikum) sowie eine typische Assoziation von Amphibolitboudins (mit Eklogitrelikten) und leukokraten Gneisen. Diese Assoziation stellt wahrscheinlich stark deformiertes variszisches Kristallin dar; für eines der Eklogitboudins wurde ein altpaläozoisches Ausgangsgesteinsalter bestimmt. Der schmale Zug von Antrona-Ophiolith zieht, örtlich unterbrochen, im Westen um die Monte-Rosa-Decke herum auf die Südseite des Monte-Rosa-Massivs. Während der Ophiolitzug am Südwestrand der Monte-Rosa-Decke, bedingt durch das Auskeilen der Stockhorn-Einheit, direkt unter den Ophiolithen der Zermatt-Saas-Decke liegt und von diesen kaum zu unterscheiden ist, stellt sich auf der Südseite des Monte Rosa wieder eine dünne Lage von Gneis im Hangenden des Ophiolithzugs ein. Dieser Gneiszug wird als Stolemberg-Einheit bezeichnet und mit der Bernhard-Decke parallelisiert, der Ophiolithzug wird auf der Monte-Rosa-Südseite als Balma-Einheit bezeichnet (Abb. 7-7). An Eklogiten der Balma-Einheit wurde ein Protolithalter von etwa 93 Ma bestimmt (U-Pb Zirkon) sowie ein Alter der eklogitfaziellen Metamorphose von etwa 42 bis 45 Ma (Lu-Hf Granat). Das Protolithalter ist gleich wie beim Chiavenna-Ophiolith am Westrand der Ostalpen; beide zusammen stellen die jüngsten Zeugnisse ozeanischer Krustenbildung in den Alpen dar. Antrona-Ophiolithe und Balma-Einheit werden, wie auch der Chiavenna-Ophiolith, als ozeanische Kruste des Valais-Ozeans interpretiert; die Sutur dieses Ozeans wurzelt folglich auf der Südseite der Monte-Rosa-Decke. Unter dieser Annahme müsste die unter der Sutur gelegene Monte-Rosa-Decke also nördlich des Valais-Ozeans beheimatet sein und aus dem Europäischen Kontinentalrand stammen (Subpenninikum).
Im Nordosten stoßen die Antrona-Ophiolithe gegen die Simplon-Störung, eine bedeutende, südwestfallende, miozäne Abschiebung mit Mylonitzone im Liegenden (Nordosten) und Kataklasitzone im Hangenden (Südwesten; Abb. 7-1, 7-2). Weiter nördlich stellen sich Einheiten aus dem Valais-Becken auf beiden Seiten der Simplon-Verwerfung wieder ein (Zone von Sion-Courmayeur). Es ist anzunehmen, dass die Antrona-Ophiolithe und die Zone von Sion-Courmayeur ursprünglich verbunden waren und zusammen die Sutur des Valais-Ozeans markierten, und dass diese Verbindung durch die Bewegungen entlang der Simplon-Verwerfung unterbrochen wurde.
Die Zone von Sion-Courmayeur besteht aus mehreren einzelnen Schuppen oder Decken, die von flyschartigen Schiefern und Mélanges von Kreide- und Alttertiär-Alter aufgebaut werden. In Schiefern der Pierre-Avoi-Einheit wurden Foraminiferen des oberen Mitteleozän nachgewiesen. In den Mélanges, die teilweise ursprünglich sedimentäre Brekzien und Megabrekzien (Olisthostrome) darstellen, kommen Gneise, mesozoische Sedimente sowie Basalt, Gabbro und Serpentinit vor.
Die Monte-Rosa-Decke (Subpenninikum) besteht aus variszischen (karbonischen) und postvariszischen (permischen) Granitoiden, die in ein älteres, variszisch amphibolitfaziell metamorphes bis migmatitisches Kristallin intrudierten. Dieses Grundgebirge trägt nur lokal Reste einer permischen bis untertriadischen Sedimentbedeckung aus Meta-Arkosen und –Sandsteinen. Die Monte-Rosa-Decke wurde alpin (Eozän) in der Eklogitfazies metamorphosiert; Eklogite kommen vor allem als Boudins in den obersten Teilen der Decke vor. Die Gesteine wurden bei der Exhumation amphibolitfaziell, dann grünschieferfaziell überprägt. Insgesamt bildet die Monte-Rosa-Decke, trotz ihrer etwas abenteuerlichen Form im Profil, erkennbar eine große Antiform (Ragno-Antiform), die die ursprüngliche Überschiebung der höheren Einheiten über die Monte-Rosa-Gneise verformt hat. Die Ragno-Falte wurde dann durch weitere Falten überprägt, wovon die Vanzone-Antiform die auffallendste ist (Abb. 7-2). Ein schmaler „Stiel“ der Monte-Rosa-Decke zieht nach Nordosten bis Ascona, dort verschwindet die Decke aufgrund des Abtauchens der Ragno-Antiform im Untergrund.
Abb. 7-2: NW-SE-Profil der Penninischen Decken in den Walliser Alpen. Verlauf des Profils siehe Abb. 7-1 (nach Pleuger et al. 2007, nach Escher et al. 1993).
Abb. 7-3: Das Südende der Barrhorn-Serie auf der Triftalp bei Zermatt. Marmore der Barrhorn-Serie bilden hier den Kern einer nach Süden schließenden Isoklinalfalte, um die die Kalkglimmerschiefer und Grünschiefer der Tsaté-Decke mitsamt der darin „schwimmenen“ mesozoischen Karbonatlage der Frilihorn-Decke herumgefaltet wurden.
Abb. 7-4: Skizze zu Abbildung 7-3.
Abb. 7-5: Der die Monte-Rosa-Decke von der darüberliegenden Portjengrat-Einheit (Bernhard-Decke) trennende Zug von mesozoischen Antrona-Ophiolithen im Val Loranco. Die Anordnung von Serpentinit an der Basis und Amphibolit im Hangenden entspricht den ursprünglichen Lagerungsbeziehungen in der ozeanischen Kruste; möglicherweise sind diese bei der Subduktion erhalten geblieben.
Abb. 7-6: Skizze zu Abbildung 7-5.
Abb. 7-7: Der Stolemberg auf der Südseite des Monte-Rosa-Massivs, von Westen gesehen. Gneis der Monte-Rosa-Decke wird von einer dünnen Lage Serpentinit und Eklogit überlagert, der Balma-Einheit. Darüber folgen Gneis (Stolemberg-Einheit) und schließlich die Zermatt-Saas-Ophiolithe. Die Balma-Einheit wird mit den Antrona-Ophiolithen und damit dem Valais-Ozean parallelisiert, die Stolemberg-Einheit mit der Bernhard-Decke und damit dem Briançonnais. An einem Eklogit der Balma-Einheit wurde ein Alter von ca. 93 Ma (Oberkreide) für die Kristallisation des gabbroischen Ausgangsgesteins bestimmt.
Kapitel 8: Die
Préalpes und die Klippen der Zentralschweiz
Die Préalpes stellen einen großen Deckenrest (Klippe) aus penninischen Einheiten nahe dem Alpennordrand dar, der allochthon auf Einheiten der externen Zonen der Alpen aufliegt (Abb. 1-3). Die Préalpes werden horizontal unterteilt in die Préalpes du Chablais, westlich des Rhonetals zum größten Teil in Frankreich gelegen, und die Préalpes Romandes, östlich des Rhonetals in der Westschweiz. Östlich des Ostendes der Préalpes kommen in der Zentralschweiz einige weitere, isolierte, kleinere Klippen vor, wovon die bekannteste die Mythen-Klippe ist. Auch nach Südwesten wird die Reihe der Klippen durch einige kleinere Klippen in den französischen Westalpen (Savoyen) fortgesetzt. Am vollständigsten liegt die vertikale Abfolge der penninischen Decken in den Préalpes Romandes vor (Abb. 8-1).
Bemerkungen zum Thema Flysch
Im Folgenden wird häufig von Flysch die Rede sein. Unter Flysch versteht man klastische Serien mit einem hohen Anteil von Turbiditen, die in großer Meerestiefe an konvergenten Plattengrenzen abgelagert werden. In den Alpen sind Flysche stets kreidezeitliche oder tertiäre Bildungen. Die Flysche wurden teilweise während der Subduktion einer ozeanischen Platte auf ozeanischer Kruste abgelagert, teilweise wurden sie nach dem Beginn der Kontinentkollision bei anhaltender Subduktion eines Kontinentalrandes auf ausgedünnter kontinentaler Kruste abgelagert. Je nach Zusammensetzung des Liefergebiets gibt es in den Alpen eher kalkige oder eher quarzdominierte (siliziklastische) Flysche. Flysche mit einem hohen Anteil von Chromspinell zeugen davon, dass Ophiolithe im Liefergebiet anstehen, denn Chromspinell ist ein häufiger Bestandteil von ultrabasischen Gesteinen wie Serpentinit. Wenn Flysch-Serien entlang einer konvergenten Plattengrenze abgelagert werden, kommen die Turbidite in der Regel vom Abhang der Oberplatte herab und werden auf der abtauchenden Platte abgelagert (Abb. 8-2, Profil A). Die jüngsten Teile einer Flyschserie enthalten häufig „exotische“ Blöcke und Schollen von älteren Gesteinen und werden dann auch als „Wildflysch“ bezeichnet. Die Ursache dafür ist, dass der Ablagerungsraum des Flyschs durch die Annäherung der Platten nun so nahe an den Kontinentalhang „herangefahren“ wurde, dass Rutschmassen und Schuttströme vom Kontinentalhang grobes Material von dort zur Ablagerung bringen (Abb. 8-2, Profil B). Nun endet die Sedimentation in der Regel bald, da die Flyscheinheit unter die Front der Oberplatte geschoben wird (Profil C). Bei dieser Unterschiebung kommt es in den obersten Teilen der Flyscheinheit zu intensiver tektonischer Scherung, sodass in den „Wildflyschen“ häufig nur schwer zwischen sedimentären Rutschmassen und tektonischer Durchmischung (tektonische Mélange-Bildung) unterschieden werden kann. Der Flysch wird nun von seinem Untergrund abgeschert und bildet als Flyschdecke einen Teil des Akkretionskeils, der an der Front der Oberplatte heranwächst (Abb. 8-2, Profil D). Nun können Teile der Flyschdecke auch wieder in die Tiefseerinne abrutschen (Profil E). Auf diese Weise kann älterer Flysch in jüngeren Flyschablagerungen „recycliert“ werden. Die Zuordnung der Flyscheinheiten zu ihrem ursprünglichen Ablagerungsraum bietet, wie man sich denken kann, häufig große Schwierigkeiten, und ist auch im Fall der Flysche der Préalpes teilweise fraglich.
Deckenfolge der Préalpes Romandes
Die Basis der Préalpes Romandes wird von den ultrahelvetischen Decken gebildet, die ihrerseits im Nordwesten auf der Molasse aufliegen, im Südosten auf den helvetischen Decken. Das Ultrahelvetikum wird in Teil 3 dieses Skripts näher beschrieben; hier soll nur erwähnt werden, dass bedeutende Anteile des Ultrahelvetikums von Tonsteinen des Jura und der Kreide gebildet werden; diese inkompetenten Gesteine bildeten einen Gleithorizont, auf dem die penninischen Einheiten nach Norden geschoben wurden. Im Südosten ist als unterste penninische Einheit der Préalpes Romandes die Niesen-Decke aufgeschlossen (Abb. 8-1, 8-3). Sie besteht aus kleinen Schuppen von Gneis an der Basis, gefolgt von nur lokal vorhandenen Trias-, Jura- und Kreideschichten, vor allem aber einer diskordant auf den älteren Formationen auflagernden, bis 1,5 km mächtigen Flyschabfolge von Maastricht- bis Eozän- (Lutet-) Alter (Abb. 8-4). Dieser Niesen-Flysch wurde von Süden geschüttet; die Diskordanz an der Basis zeugt von einer tektonischen Phase vor dem Maastricht. Als Ablagerungsraum wird der Nordrand des Valais-Ozeans angenommen; der ehemalige Untergrund der Niesen-Decke könnte also etwa im Kristallin der Monte-Rosa-Decke zu suchen sein.
Am Nordwestrand der Préalpes tritt über dem Ultrahelvetikum, in einer ähnlichen vertikalen Position im Deckenstapel wie die Niesendecke, die Gurnigel-Decke auf (Abb. 8-3). Diese besteht aus Flysch von Maastricht- bis Mitteleozän-Alter. Weiter östlich, in der Zentralschweiz, stellt der Schlieren-Flysch die Fortsetzung der Gurnigel-Decke dar. Beide werden, zusammen mit dem noch weiter östlich gelegenen Wägitaler Flysch, auch als „subalpine Flysche“ bezeichnet. Die paläogeographische Herkunft der Gurnigel-Decke wie des Schlieren-Flyschs und des Wägitaler Flyschs ist fraglich. Da der Gurnigel-Decke ähnelnde Schuppen auch in höherer tektonischer Position in den Préalpes vorkommen (Saane-Decke, siehe unten), oberhalb der aus dem Briançonnais stammenden Préalpes-Médianes-Decke, werden Gurnigel- und Schlieren-Flysch häufig auf den Ablagerungsbereich des Piemont-Liguria-Ozeans zurückgeführt. Wenn dies zutrifft, müsste ihre derzeitige Stellung unter der Préalpes-Medianes-Decke durch eine out-of-sequence-Überschiebung an der Basis der Préalpes-Medianes-Decke erklärt werden (vgl. Abb. 1-8). Andererseits ist auch eine Herkunft der Gurnigel- und Schlieren-Flyschs aus dem Valais-Ozeanbecken denkbar. In diesem Fall wäre die Deckenabfolge durch in-sequence-thrusting erklärbar.
Im internen, südöstlichen Teil der Préalpes folgt über der Niesen-Decke oder, wo diese fehlt, direkt über dem Ultrahelvetikum als nächste Einheit die Zone Submédiane. Es handelt sich nicht um eine kohärente Gesteinsfolge, sondern um eine tektonische Mischung (Mélange) verschiedener Gesteine, häufig Evaporite (Gips, Anhydrit, Rauhwacke), die aus der mittleren und oberen Trias stammen, den Abscherhorizont der darüberfolgenen Préalpes-Médianes-Decke bildeten und sich im Zuge des nordwärts gerichteten Überschiebung der letzteren mit dem Material der überschobenen Einheiten durchmischten (orange eingefärbt in Abb. 8-3). Die Zone Submédiane enthält auch Tonschiefer, radiolarienreiche Kalke und Basalte, also Anteile ozeanischer Kruste. Sie wird deshalb als Sutur des Valais-Ozeans interpretiert. Darüber folgt nun die Hauptdecke der Préalpes, die Préalpes-Médianes-Decke (=Klippen-Decke). Diese Decke stammt aus dem kontinentalen Krustenbereich des Brianconnais-Sporns. Die Schichtfolge beginnt mit Sedimenten der Untertrias und endet im Eozän. Man unterteilt die Préalpes-Médianes-Decke in Médianes Plastiques im Nordwesten und Médianes Rigides im Südosten. Die Médianes Plastiques zeichnen sich durch einen Faltenbau aus, während die Médianes Rigides nicht gefaltet sind, sondern als „starre“, von Überschiebungen begrenzte Schollen vorliegen. Dies resultiert aus der Stratigraphie der beiden Teile: Der Ablagerungsraum der Médianes Rigides war in Jura und Kreide eine Schwelle, der nordwestliche Teil des Ablagerungsraums der Plastiques bildete ein Becken, das „Cancellophycus-Becken“, benannt nach den Cancellophycus-Schichten, mergeligen Beckenablagerungen des Dogger. Auf der Hochzone der Rigides wurden in Subsidenzphasen Karbonate abgelagert, bei fehlender Subsidenz fand keine Ablagerung oder sogar Erosion statt. Deshalb besteht die Abfolge der Rigides fast ausschliesslich aus Karbonaten und es fehlt der für Faltung notwendige Wechsel kompetenter und inkompetenter Schichten. Die bedeutendste Schichtlücke in den Rigides umfasst Obertrias bis Dogger. Durch Hebung im späten Lias wurde der Ablagerungsraum über den Meeresspiegel gebracht und in der Folge tief erodiert, sodass festländische bis flachmarine Schichten des oberen Dogger (Mytilus-Schichten) über teilweise verkarstete Kalke und Dolomite der Mitteltrias transgredieren. Im Gegensatz dazu wurden im Becken der Plastiques fast ununterbrochen Sedimente abgelagert und es entstand eine Wechselfolge karbonatischer und mergeliger Schichten, was die Bildung von Falten begünstigte. Im Nordwesten wurde das „Cancellophycus-Becken“ von einer weiteren Hochzone begrenzt, die nur noch ansatzweise in den Préalpes erhalten ist, aber dafür in den Klippen der Zentralschweiz (Mythen-Klippe).
Die Préalpes Médianes Rigides finden in den französischen Westalpen ihre Fortsetzung in den Decken des Briançonnais im engeren Sinne, die Préalpes Médianes Plastiques im westlich davon gelegenen, tektonisch tieferen Subbriançonnais. Die Kette der Gastlosen (Abb. 8-1, 8-5) bildet den nordwestlichsten Teil der Rigides, zwischen zwei großen, die Decken verformenden Mulden, die von höheren tektonischen Einheiten gefüllt sind. Die Préalpes Médianes Rigides zeigen fazielle Übereinstimmung mit der Barrhorn-Serie der Siviez-Mischabel-Decke in den Walliser Alpen (siehe Kapitel 7), deshalb werden sie als abgescherte Teile der Bedeckung des Grundgebirges der Siviez-Mischabel-Decke angesehen. In ähnlicher Weise werden die Préalpes Médianes Rigides mit der Zone Houillière im Wallis korreliert.
Im südöstlichen Teil der Préalpes liegt über der Préalpes-Médianes-(Rigides)-Decke die Brekzien-Decke. Sie umfasst Obertrias (Dolomite, Schiefer, Lumachellen-Kalke), Kalke und Schiefer des Lias, eine untere Serie von sedimentären Brekzien mit Komponenten von Triasdolomit und Liaskalk (Oberlias und Dogger?), Schiefer mit Radiolaritlagen des unteren Malm, eine obere Brekzienserie (oberer Malm?), kieselige Kalke der Unterkreide, Schiefer mit Quarziten (Apt-Alb), Couches Rouges (pelagische Mergel) von Oberkreide- bis Eozän-Alter, sowie als Abschluss einen Wildflysch. Die Jurabrekzien wurden von nordwestlich ihres Ablagerungsraums gelegenen Bruchstufen geschüttet. Diese Bruchstufen könnten von Abschiebungen am Kontinentalrand zwischen dem nordwestlich gelegenen Brianconnais und dem Piemont-Liguria-Ozean gebildet worden sein.
Über der Brekzien-Decke, oder weiter nordwestlich direkt über der Préalpes-Médianes-Decke, folgt die Nappe Supérieure oder Simmen-Decke im weiteren Sinne (Abb. 8-3, 8-5). Sie besteht eigentlich aus vier Decken, von unten nach oben die Saane-Decke, die Dranses-Decke, die Simmen-Decke i. e. S. und die Gets-Decke. Diese sind zum Teil selbst auch wieder aus Teildecken zusammengesetzt. Die Saane-Decke (Nappe de la Sarine) besteht aus Schuppen von Flyschen mit Maastricht- und Paläozän-Alter, die der Gurnigel-Decke ähneln; dies ist der Grund für die - nicht ganz sichere - Zuordnung der Gurnigel-Decke zum südpenninischen (Piemont-Liguria-) Bereich. Die Dranses-Decke besteht aus roten Tonschiefern, gefolgt von kalkigem Flysch der Oberkreide (Campan und Maastricht), der dem Helminthoidenflysch der Westalpen ähnelt und auch die gleichen charakteristischen Spurenfossilien (Helminthoides) enthält. Die Simmen-Decke (im engeren Sinne) besteht aus zwei von einer Überschiebung getrennten Teilen. Der untere Teil umfasst schiefrig-sandige Serien des Alb, Sandsteine des Turon und darüber Schieferserien, in die Rutschmassen aus kieseligen Kalken des Dogger, Radiolariten des Malm und pelagischen Calpionellenkalken des obersten Jura und der untersten Kreide eingelagert sind. Der obere Teil besteht aus einem Oberkreide-Flysch (ab Cenoman) mit charakteristischen polymikten Konglomeraten (Mocausa-Konglomerat). Die Gets-Decke enthält an der Basis Schiefer und mikritische Kalke des oberen Malm und der Unterkreide, darüber sandigen Flysch der Oberkreide, darüber ein Olisthostrom, d.h. einen Komplex von Rutschmassen, mit Komponenten von Basalt, Gabbro und Granit, und darüber schließlich den oberkretazischen Hundsrück-Flysch (Coniac bis Campan). Datierungen an den Gabbros ergaben Dogger-Alter (ca. 166 Ma). Saane-, Dranses-, Simmen- und Getsdecke werden aus dem Bereich des Piemont-Liguria-Ozeans hergeleitet, wobei im Fall der Simmen-Decke mehrfach auf die starke Ähnlichkeit der Klasten (Gerölle und Rutschmassen) mit Serien der Südalpen hingewiesen wurde.
Die Klippen der Zentralschweiz
Als östliche Fortsetzung der Préalpes Romandes kommen in der Zentralschweiz einige kleinere penninische Deckenreste vor: die Klippen der Giswiler Stöcke, des Stanserhorns, des Buochserhorns, der Mythen sowie als östlicher Abschluss die Iberger Klippen. Die Klippendecke, die hier in Muldenstrukturen der unterliegenden helvetischen Decken erhalten geblieben ist, ist teilweise in der Fazies der Préalpes Plastiques Rigides, teilweise in der der Plastiques ausgebildet. Die bekannteste und morphologisch auffallendste Klippe baut das Bergmassiv der Mythen auf (Abb. 8-6). Sie stammt wahrscheinlich von einer Hochzone, die das Becken der Préalpes Médianes nach Nordwesten begrenzte. Die Klippendecke enthält an den Mythen dünne Trias und Dogger, dann vor allem massige Kalke des Malm, die diskordant von Couches Rouges, pelagischen Mergeln der Oberkreide, überlagert werden. Die Tatsache, dass hier ein Berg aus Jurakalk das umliegende Gelände aus kreidezeitlichen Sedimenten überragt, wurde zunächst so interpretiert, dass im Kreidemeer eine Klippe aus Jurakalk aufragte, um die herum die Kreideschichten abgelagert wurden. Später erkannte man, dass es sich um auf den Kreideschichten „schwimmende“ Erosionsreste einer höheren Decke handelte, behielt aber den Ausdruck „Klippen“ der Einfachheit halber bei. Seitdem bedeutet „Klippe“ im tektonischen Sinn einen isolierten Deckenrest.
Die Iberger Klippen enthalten die vollständigste Abfolge von Decken; hier ist nicht nur die mittelpenninische Klippendecke erhalten, sondern auch die ophiolithführende, oberpenninische Aroser Zone und als oberste Einheit ein Rest des Ostalpins der Nördlichen Kalkalpen (Abb. 8-7). Die Iberger Klippen liegen auf Kreide- und Tertiärschichten der helvetischen Drusberg-Decke auf. Darüber folgt ein Flysch-Komplex. Dieser umfasst an der Basis den teils oberkretazischen, teils eozänen Iberg-Wildflysch. Der Wildflysch führt Kristallin- und Sedimentkomponenten, die letzteren erlauben es, für ihr Liefergebiet eine Schichtfolge von Briançonnais-Typ zu rekonstruieren. Über dem Wildflysch folgt eozäner Schlieren-Flysch, darüber wiederum oberkretazischer Schlieren-Flysch. Wie oben schon erwähnt, wird für den Schlieren-Flysch, dessen Hauptverbreitungsgebiet weiter westlich liegt, ebenso wie für die Gurnigel-Decke häufig eine südpenninische Herkunft angenommen. Die Briançonnais-Komponenten im Iberger Wildflysch unter dem Schlieren-Flysch machen eine solche Herleitung jedoch schwierig, weshalb Rudolf Trümpy vorgeschlagen hat, den Schlieren-Flysch aus dem nordpenninischen Valais-Becken herzuleiten (Eclogae geologicae Helvetiae, 2006). Über dem Flyschkomplex folgt die Klippen-Decke, die auch hier vor allem aus Malmkalk und Couches Rouges besteht, darüber die Aroser Zone, eine Schuppenzone mit Ophiolithen (vor allem Kissenbasalt mit Sedimentbedeckung aus Radiolarit) aus dem Piemont-Liguria-Ozean, tektonisch vermischt mit ostalpinen Triasgesteinen, darüber eine Decke aus ostalpinem Mesozoikum, vor allem Raibler Schichten (Karn) und Hauptdolomit (Nor). Diese Decke stellt wahrscheinlich die westliche Fortsetzung der Lechtal-Decke der nördlichen Kalkalpen dar.
Abb. 8-1: Die Deckenfolge der Préalpes Romandes. BD: Brekzien-Decke; G: Gastlosen; GD: Gurnigel-Decke; M: Molasse; ND: Niesen-Decke; NS: Nappe Supérieure; PMP: Préalpes Médianes Plastiques; PMR: Préalpes Médianes Rigides; UH: Ultrahelvetikum; ZSM: Zone Submédiane.
Abb. 8-2: Ablagerung und Akkretion einer Flysch-Abfolge. Turbidite gehen vom Hang des Akkretionskeils (senkrechte Schraffur) aus und werden auf der Oberfläche der abtauchenden Platte abgelagert, die gleichzeitig nach rechts subduziert wird (Profil A). Wenn die Flyschfolge durch das „Fließband“ der abtauchenden Platte nahe genug an die Schüttungsquelle heranbewegt worden ist, werden die Turbidite durch debris flows („Wildflysch“) überlagert (Profil B). Kurz darauf endet die Sedimentation und die Flyschfolge wird unter den Akkretionskeil geschoben (Profil C), von ihrem Untergrund abgeschert (Profil D) und durch Akkretion weiterer Flyschfolgen schrittweise angehoben (Profil E). Nun können Teile der Flyschfolge wieder in die Tiefseerinne abrutschen und sich mit jüngeren Sedimenten vermischen. Durch diesen Prozess kann früh akkretiertes Material längere Zeit im frontalen Bereich des Akkretionskeils „zirkulieren“.
Abb. 8-3: Zwei Profile durch den östlichen Teil der Préalpes Romandes, im Bereich des Simmentals südlich von Bern. Aus Wissing & Pfiffner (2002). (Für vergrößerte Ansicht auf die Abbildung klicken)
Abb. 8-4: Das Türmlihore im Hinteren Diemtigtal, hier von Südosten gesehen, wird vom Flysch der Niesendecke aufgebaut. Die ausgeprägte, regelmäßige Schichtung ist auf die turbiditischen Sandsteinbänke zurückzuführen.
Abb. 8-5: Die Kette der Gastlosen, von Südosten gesehen. Der Felskamm besteht aus Plattformkalken des Malm. Diese bilden durch ihre besonders hohe Erosionsresistenz in der Regel die ausgeprägtesten Felswände in der Préalpes-Medianes-Decke, und damit das „Rückgrat“ der Landschaft. Im oberen Profil der Abb. 8-2 entspricht der Gastlosen-Kette die erste Schuppe von Malmkalk nordwestlich (links) der mit der Nappe Superieure gefüllten Mulde. Der Untergrund der Wald- und Wiesenlandschaft im Vordergrund des Bildes besteht aus Flyscheinheiten der Nappe Supérieure.
Abb. 8-6: Die Mythen-Klippe über dem Lauerzersee, von Westen
gesehen. Die beiden Felmassive in der Bildmitte, Kleiner (links) und Großer
Mythen, bestehen aus Malm-Kalk der Klippen-Decke (=Préalpes-Medianes-Decke).
Die oberste Spitze des Großen Mythen wird von Couches Rouges gebildet,
pelagischen Mergeln der Oberkreide, die diskordant auf dem Malmkalk auflagern.
Die Mythen liegen als isolierter Rest einer von Süden überschobenen Decke auf
den Helvetischen Decken, welche die dunkle Felswand rechts über dem See bilden,
aber auch die gesamte Bergkette im Hintergrund mit dem Glärnisch (zwischen den
beiden Mythengipfeln durchschauend). Auf der linken, nördlichen Seite schaltet
sich zwischen Mythenklippe und Helvetischen Decken der Wägitaler Flysch ein. Er
bildet das Wald- und Wiesengelände links von den Mythen, bis ins Tal hinunter.
Abb. 8-7: Der Roggenstock bei Oberiberg, von Osten gesehen. Die extrem verdünnte Abfolge von Decken umfasst die helvetische Drusberg-Decke (H), Wildflysch und Schlieren-Flysch (S), die Klippen-Decke, vor allem aus Malmkalk und Couches Rouges (K), die Aroser Zone mit Ophiolithen des Piemont-Ligurischen Ozeans (A), sowie den westlichsten Rest des Ostalpins der Nördlichen Kalkalpen (O). Der Gipfel wird von ostalpinem Hauptdolomit des Nor gebildet.
Kapitel 9: Die Lepontinischen Decken
Die
Lepontinischen Decken gehören zu den subpenninischen Einheiten und sind in
einer domartigen Aufwölbung, dem Lepontinischen Dom in den Zentralalpen
aufgeschlossen. Das Gebiet der Lepontinischen Decken wird im Norden durch die Penninische
Basisüberschiebung (Abb. 9-1: PBÜ) vom Gotthard-Massiv und seiner Sedimentbedeckung
abgegrenzt. Die Basisüberschiebung verläuft hier in einer Steilzone, die auf
eine nachträgliche Verformung der Decken zurückzuführen ist und als Nördliche
Steilzone (Northern Steep Belt) bezeichnet wird. Im Süden werden die
Lepontinischen Decken von der Insubrischen Linie, einem Teilstück der
Periadriatischen Linie, begrenzt (Abb. 9-2). Die Insubrische Linie fällt hier
meist steil nach Norden ein. Sie war vor allem im Oligozän aktiv; der
Bewegungssinn entsprach zunächst einer relativen Anhebung des nördlichen
Blockes, also der Lepontinischen Decken, gefolgt von einer dextralen
Seitenverschiebungsbewegung (Abb. 9-3). Die Anhebung des nördlichen Blockes war
sehr bedeutend; hier wurden nämlich hoch-amphibolitfaziell metamorphe und
teilweise migmatisierte Gesteine der Lepontinischen Decken (Abb. 9-4) neben
alpin unmetamorphe Serien der Südalpen angehoben, was einer relativen
Vertikalbewegung von etwa 20 km oder mehr entspricht, je nachdem, welchen
geothermischen Gradienten man annimmt. Die Anhebung der Nordseite wird entweder
als Rücküberschiebung interpretiert oder auch als Resultat einer nach Süden
einfallenden Abschiebung, die erst später in die nordfallende Orientierung
rotiert wurde. Die Deckeneinheiten stehen unmittelbar nördlich der Insubrischen
Linie steil; diese Zone wird als südliche Steilzone bezeichnet (Southern Steep
Belt) oder auch als Wurzelzone der Lepontinischen Decken (Abb. 9-5). Wenn man
von Norden kommt, ist schön zu beobachten, wie die Decken und ihre interne
Foliation langsam steiler werdend vor der Insubrischen Linie in der Tiefe
versinken. Im Westen werden die Lepontinischen Decken durch die
Simplon-Verwerfung begrenzt, eine nach Südwesten einfallende Abschiebung mit
breitem Mylonitgürtel in der unteren Platte, überlagert von Kataklasiten und
der eigentlichen Bruchfläche. Die Simplon-Verwerfung war im Miozän aktiv, mit
einem Maximum der Bewegungsrate zwischen 18 und 15 Ma und einer langsameren
Fortsetzung möglicherweise bis 3 Ma. Im Südosten verbindet sich die
Simplon-Linie nicht mit der Insubrischen Linie, sondern biegt nach Nordosten ab
in Richtung auf das Zentrum des Lepontinischen Doms, um jedoch bald undeutlich
zu werden und zu verschwinden. Dadurch ist der Bereich der Lepontinischen
Decken im Südwesten offen; die Moncucco- und Camughera-Decke gehören noch zu
den Lepontinischen Decken und die Monte-Rosa-Decke (siehe Kapitel 7) in
gewisser Weise ebenfalls. Die Ostbegrenzung der Lepontinischen Decken wird
ebenfalls von einer miozänen Abschiebung gebildet, die spiegelbildlich zur
Simplon-Verwerfung nach Nordosten einfällt: der Forcola-Verwerfung. Der
Versatzbetrag dieser Verwerfung und die Breite ihres Mylonitgürtels sind jedoch
geringer als bei der Simplon-Linie. Auch die Forcola-Linie verbindet sich nach
Süden nicht mit der Insubrischen Linie, sondern versinkt unter der
Quartärfüllung des Meratales und verschwindet dort – jedenfalls ziehen weiter südlich
die tektonischen Einheiten, wie der „Stiel“ der Bergell-Intrusion, ungestört
durch. Nach Norden verliert sich die Forcola-Linie in der Misoxer Zone, einer
Sediment-Zone zwischen der Adula-Decke, der östlichsten Lepontinischen Decke,
und der darüberliegenden Tambo-Decke.
Die Lepontinischen Decken bestehen jeweils aus einem Kern, der von variszischem Grundgebirge gebildet wird, im wesentlichen Orthogneisen, Paragneisen und Amphiboliten, sowie einer metamorphen Sedimentbedeckung aus Konglomeraten und Quarziten (Perm und Untertrias), Dolomiten (Mittel- und Obertrias) sowie Kalken, Mergeln und Brekzien, die wohl vor allem ins jüngere Mesozoikum gehören (Abb. 9-6). In einigen Fällen, etwa bei der Adula-Decke, sind Grundgebirge und Bedeckung miteinander intensiv isoklinal verfaltet oder verschuppt (Abb. 9-7). Das Grundgebirge und seine Bedeckung stammen aus dem südlichen Kontinentalrand Europas, nördlich des Valais-Ozeans. Diese Einheiten werden als Subpenninische Decken bezeichnet. In einigen Fällen (Maggia-Decke, Soja-Decke) wurde auch eine Herkunft aus dem Briançonnais vorgeschlagen, entweder gestützt auf sedimentfazielle Vergleiche (wie im Fall der Soja-Decke) oder auf strukturelle Argumente wie im Fall der Maggia-Decke. Relativ sicher ist eine Zuordnung zum Briançonnais nur für die Berisal-Decke („Be“ in Abb. 9-1), die einen Ausläufer der Bernhard-Decke im Liegenden der Simplon-Verwerfung darstellt.
Die mesozoische Bedeckung der Kristallindecken wird überlagert oder umhüllt von Bündnerschiefer, d.h. Kalkglimmerschiefer, der aus kalkig-tonig-sandigen Serien von wahrscheinlichem Kreide-Alter hervorgegangen ist. Im Bündnerschiefer sind lokal Ophiolithkomplexe eingelagert, die Serpentinit, Gabbro und Basalt enthalten. Die Ophiolithe werden der ozeanischen Kruste des Valais-Ozeans zugeordnet. Der Bündnerschiefer stellt teilweise die ehemalige Bedeckung der ozeanischen Kruste dar, teilweise aber auch die ehemalige Bedeckung des distalen europäischen Kontinentalrandes, also des Subpenninikums. Dies lässt sich kaum trennen, weshalb ozeanische Valais-Einheiten, Bündnerschiefer und Sedimentbedeckung des Subpenninikums in Abb. 9-1 einheitlich grau dargestellt sind.
Strukturell wird der Lepontin-Dom durch eine Nord-Süd-verlaufende Zone mit steiler Foliation, die Maggia-Querzone, in zwei „Unterdome“ eingeteilt, den Simplon-Subdom im Westen und den Ticino-Subdom im Osten. Die Maggia-Querzone fällt ungefähr mit der Maggia-Decke in Abb. 9-1 zusammen. Im Kern des Simplon-Subdoms sind die tiefsten Einheiten im Verampio-Fenster („V“ in Abb. 9-1) aufgeschlossen; der Gneis, der hier als tiefste Einheit ansteht, könnte die Südfortsetzung des Gotthard-Massivs darstellen. Zwiebelschalenartig liegen darum herum die höheren Lepontinischen Decken. Der Scheitel des Ticino-Subdoms fällt mit dem Tal des Ticino (Valle Leventina) zusammen; auf den unteren Talhängen ist Gneis der Leventina-Decke aufgeschlossen, über dem auf beiden Seiten als nächsthöhere Einheit die Gneise der Simano-Decke folgen. Die Adula- und die Monte-Rosa-Decke liegen als höchste Einheiten symmetrisch am Ost- bzw. Westrand des Lepontin-Doms. Diese beiden Decken sowie die Bellinzona-Dascio-Zone enthalten Gesteine mit alpiner (eozäner) Hochdruckmetamorphose, im Unterschied zu den übrigen, zwischen diesen beiden Flügeln gelegenen und tektonisch tieferen Decken. Dies ist mit der Tatsache zu erklären, dass die Monte-Rosa- und Adula-Decke den ursprünglich südlichsten, ozeannächsten Teil des europäischen Kontinentalrandes vertreten, der am tiefsten in die Subduktionszone eintauchte. Von der Monte-Rosa-Decke zieht ein dünner werdender „Stiel“, der einen engen Sattel bildet, in der Südlichen Steilzone nach Osten bis Ascona. Der „Stiel“ ist von alpinen Pegmatitgängen durchzogen (Abb. 9-8).
Die Adula-Decke (Abb. 9-9, 9-10) besteht aus extrem ausgewalzten Lagen von Ortho- und Paragneisen, zwischen denen dünne Lagen von mesozoischen Sedimenten eingeklemmt sind. Vor allem in den Paragneis-Lagen finden sich Linsen oder Boudins von Eklogit (Abb. 9-11, 9-12), die von Norden nach Süden zunehmend höhere Druckbedingungen spiegeln, und im Südteil der Decke, besonders im Cima-Lunga-Lappen („CL“ in Abb. 9-1) auch granatführende Peridotite wie diejenigen von Alpe Arami, Cima di Gagnone und Monte Duria (Abb. 9-13). Letztere spiegeln eozäne Druckbedingungen von über 3 GPa (30 kbar) wider. Die Eklogite stellen nicht etwa mesozoische Ozeanbodengesteine dar, die mit den Gneisen vermengt wurden, sondern basische Bestandteile des variszischen Grundgebirges, das alpin als ganzes subduziert wurde. Bei Trescolmen enthalten die Eklogite alpine Granate (ca. 37 Ma) mit variszischen Kernen (ca. 336 Ma), womit der polymetamorphe Charakter dieser Gesteine nachgewiesen wird.
Nach der Hochdruckmetamorphose kam es zu einer schnellen Exhumation der subduzierten Einheiten und in der Folge wurde der gesamte Stapel der Lepontinischen Decken von einer amphibolitfaziellen Metamorphose des Barrow-Typs überprägt, der Lepontinischen Metamorphose. Ihre Isograden ziehen über Deckengrenzen hinweg, so etwa über die Grenze zwischen der Adula-Decke(mit Eklogitrelikten) und der Simano-Decke (ohne Eklogitrelikte). Die Isograden zeichnen ungefähr den Lepontin-Dom nach, jedoch stark asymmetrisch: Das Maximum der Bedingungen (Sillimanitzone mit teilweiser Aufschmelzung, siehe Abb. 9-4) liegt knapp nördlich der Insubrischen Linie. Von hier aus nehmen die Temperaturen nach Süden äusserst schnell und nach Norden wesentlich langsamer ab.
Die Deformationsgeschichte der lepontinischen Decken ist komplex. Gebietsweise lassen sich bis zu 7 Deformationsphasen durch Überprägungsbeziehungen nachweisen. Mehrfache Verfaltung hat dazu geführt, dass die ursprüngliche Position mancher Decken noch immer ungeklärt ist. Die erste regional verbreitete Deformationsphase führte zu einer nordvergenten Scherung, Isoklinalfaltung und Deckenstapelung (F1). Sie wird z.B. in der Adula-Decke als Zapport-Phase bezeichnet (Abb. 9-7). Auch sie fand jedoch bereits nach dem Höhepunkt der eklogitfaziellen Metamorphose statt. Die zweite Phase führte zur Verfaltung der Decken in große, liegende Isoklinalfalten (F2, in der Adula-Decke: Leis-Phase). Parallel zu den Faltenachsen bildete sich eine starke Streckungslineation, die eine orogenparallele (etwa SW-NE-gerichtete) Streckung anzeigt (Abb. 9-14). In der dritten Phase (F3) kam es zur Bildung der Nord-Süd-verlaufenden Maggia-Querzone (Abb. 9-15), und in der vierten wurden die Strukturen in der nördlichen und südlichen Steilzone steilgestellt. So zeigt Abb. 9-5 wahrscheinlich eine F2-Falte, die durch F4 steilgestellt wurde.
Im heutigen Profil liegt die Adula-Decke mit ihren Hochdruckrelikten zwischen zwei Einheiten, die bei der alpinen Orogenese deutlich geringere Druckbedingungen erfahren haben: Der Simano-Decke unten und der aus dem Briançonnais stammenden Tambo-Decke oben (Abb. 9-16). Abb. 9-17 zeigt eine mögliche Entwicklung, die zu dieser Situation geführt haben könnte. Dabei wird angenommen, dass die Lithosphären des Piemont-Ligurischen und des Valais-Ozeans in zwei getrennten Subduktionszonen versenkt wurden, und dass der Wiederaufstieg der Adula-Decke aus der nördlichen Subduktionszone durch die Extraktion der mittleren Platte, also ihr Versinken im tieferen Erdmantel, zwischen 37 und etwa 35 Ma ausgelöst wurde („Slab Extraction“). Nachher wurde die europäische Platte weiter subduziert, wodurch die tieferen Lepontinischen Decken unter die Adula-Decke geschoben wurden, aber in deutlich geringerer Tiefe.
Abb. 9-1: Übersichtskarte der Penninischen Zone in den Zentralalpen. B: Brig; Be: Berisal-Decke; C: Chiavenna; CL: Cima-Lunga-Lappen der Adula-Decke; CO: Chiavenna-Ophiolith; PBÜ: Penninische Basisüberschiebung; V: Verampio-Fenster.
Abb. 9-2: Die Insubrische Linie in einer Schlucht bei Livo, nahe dem Nordende des Lago di Como. Blick nach Osten. Die Gesteine rechts der Schlucht sind Trias-Dolomite der Bedeckung des Südalpins. Ihre glatte Oberfläche, die mit etwa 80° nach Norden abfällt, ist die eigentliche Verwerfungsfläche. Nördlich, in der linken Schluchtwand, sind mylonitisch verformte Tonalite aufgeschlossen, die zur Wurzel der Bergell-Intrusion gehören.
Abb. 9-3: Mylonitische Biotit-Gneise in der Südlichen Steilzone, am Ufer der Maggia zwischen Locarno und Ponte Brolla (knapp nördlich von Ascona in Abb. 9-1). Norden ist oben. Die Gesteine gehören zum Mylonitgürtel der Insubrischen Linie. Ein Porphyroklast des Sigma-Typs und Scherbänder zeigen den dextralen Schersinn.
Abb. 9-4: Orthogneis in der Schlucht von Ponte Brolla, ebenfalls in der Südlichen Steilzone wenige 100 m nördlich von Abb. 9-3. Norden ist oben. Die helle Verfärbung entlang des von rechts oben nach links unten verlaufenden Scherbandes stellt eine quarz- und feldspatreiche Schmelze dar (Leukosom). Diese entstand durch beginnende Aufschmelzung gleichzeitig mit der Scherung. Der Schersinn ist hier sinistral, im Gegensatz zum regional vorherrschenden dextralen Schersinn der Insubrischen Line.
Abb. 9-5: Steilgestellte F2-Falte in der Südlichen Steilzone, am Staudamm des Lago di Vogorno (Valle Verzasca). Es handelt sich um eine kongruente Falte mit ausgeprägter Verdickung im Scharnier.
Abb. 9-6: Der invertierte Grundgebirgs-Sediment-Kontakt in der Monte-Leone-Decke im Binntal. Der Orthogneis (rechts oben) stellt das Grundgebirge dar; er wird von einem Quarzkonglomerat aus dem Perm oder der Untertrias bedeckt (auffallend helle Schicht). Nach links unten folgt ein Gemisch von Dolomit, Kalkmarmor und Quarzit, das aus der unteren bis mittleren Trias stammen könnte.
Abb. 9-7: „Internes Mesozoikum“ der Adula-Decke in der Nähe des San-Bernardino-Passes . Dolomit (gelblich) und Kalkmarmor (graublau) sind als dünne Lage zwischen Orthogneisen eingeklemmt. Das asymmetrische Schergefüge (S-C-Gefüge) zeigt einen Transport des Hangenden nach links (Norden) und gehört zur Zapport-Phase.
Abb. 9-8: Zwei dünne, alpine Pegmatitgänge im Orthogneis der Monte-Rosa-Deckenwurzel bei Arcegno westlich von Ascona. Norden ist oben. Beide Gänge zeigen Verkürzung in Nord-Süd-Richtung, die beim linken Gang wesentlich stärker ausgeprägt ist (ptygmatische Falten). Die schwächere Faltung des rechten Ganges ist darauf zurückzuführen, dass dieser erst später während der Verformung eingedrungen ist.
Abb. 9-9: Tektonische Karte der Adula-Decke und der angrenzenden Einheiten (Nagel, 2008). C, Chiavenna; CL, Cima Lunga-Komplex; FN, Forcola-Verwerfung; Gr, Gruf-Komplex; IL, Insubrische Linie; Le, Leventina-Decke; Mi, Misoxer Zone; Si, Simano-Decke; T, Tambo-Decke; ZBD, Zone von Bellinzona–Dascio. Lokalitäten mit berühmten Hochdruckgesteinen: Va, Vals; Co, Alp de Confin;Tr, Alp de Trescolmen; Du, Monte Duria; Ca, Alp de Caurit; Go, Gorduno; Ar, Alpe Arami; Ga, Cima di Gagnone.
Abb. 9-10: Nord-Süd-Profil der Adula-Decke entlang der in in Abb. 9-9 eingezeichneten Profilspur. Schön zu sehen sind die starke Auswalzung der Adula-Decke und das Umbiegen in die Südliche Steilzone. BT: Bergell-Tonalit; IL: Insubrische Linie; Mi: Misoxer Zone, PA: Paglia-Antiform; Si: Simano-Decke; ZBD: Zone von Bellinzona-Dascio. Nach Nagel et al. (2002) und Nagel (2008).
Abb. 9-11: Eklogitboudin der Adula-Decke bei Trescolmen. Im Kern des Boudins ist der Eklogit erhalten geblieben (rotbraune Färbung); am Rand ist er durch Wasserzutritt aus den umgebenden Gneisen während des Wiederaufstiegs zu Amphibolit (dunkelgrün) umgewandelt worden.
Abb. 9-12: Eklogit von Trescolmen mit grünem Omphazit und rotem Granat.
Abb. 9-13: Granatperidotit von Monte Duria in der südlichen Adula-Decke. Rote Granate mit dunklen, kelyphitischen Rändern; diese bestehen aus Zersetzungsprodukten, die beim Wiederaufstieg entstanden. Die orange gefärbte Matrix besteht vorwiegend aus Olivin, kräftig grün gefärbte Körner darin sind Klinopyroxen.
Abb. 9-14: Streckungslinear der Leis-Phase (F2) an der Stirn der Adula-Decke. Das WSW-ENE orientierte Linear zeigt eine orogenparallele Streckung an.
Abb. 9-15: Faltenüberprägungsmuster in Orthogneisen der Simano-Decke im Flussbett der Verzasca bei Lavertezzo. Blick nach Südosten. Die Spuren der Achsenebenen von drei Faltungsphasen sind eingezeichnet; die dritte, aufrechte Faltungsphase hat die Bildung der Maggia-Querzone verursacht. Der Aufschluss befindet sich am östlichen Rand dieser Querzone. Grafik: Katrin Wellnitz.
Abb. 9-16: Profil durch die östlichen Zentralalpen, nach Schmid et al. (1996). Grau: Mantel-Lithosphäre, Rosa: Erdkruste des europäischen Kontinentalrandes; hellrosa: Sedimente des europäischen Kontinentalrandes; dunkelrosa: Adula-Decke; hellgelb: Valais-Sedimente, hellgrün: Valais-Ophiolithe; dunkelgrün: Ophiolithe und Sedimente des Piemont-Ligurischen Ozeans; violett: Briançonnais-Einheiten; verschiedene Brauntöne: Margna-Decke, Ostalpin und Südalpin; rot: Bergell-Intrusion; Geröllsignatur: Molasse-Sedimente. Die Gesteine der Adula-Decke zeigen von Norden nach Süden zunehmende Druck- und Temperaturbedingungen der eozänen, eklogitfaziellen Metamorphose, die durch eine Subduktion nach Süden erklärt werden können.
Abb. 9-17: Modell für die tektonische Entwicklung der östlichen Zentralalpen (Froitzheim et al. 2003). Zwei Subduktionszonen; das Versinken der Mittelplatte (Slab Extraction) bei 37 bis 35 Ma erlaubt der Adula-Decke, aus der nördlichen Subduktionszone aufzusteigen. Dabei geht die Annäherung zwischen der adriatischen und der europäischen Platte weiter und die tieferen Lepontinischen Decken werden im folgenden unter die exhumierte Adula-Decke geschoben. Farblegende wie in Abb. 9-16.
Kapitel 10: Die
Penninischen Decken im Bereich der Ostalpen-Zentralalpen-Grenze (Südlicher Teil)
Zwischen der Adula-Decke und der Basis des Ostalpins liegt ein komplex aufgebauter Deckenstapel von penninischen Einheiten teils kontinentaler, teils ozeanischer Herkunft (Abb. 10-1). Er wird durch eine bedeutende, flach ostfallende Abschiebung aus dem Eozän bis Unteroligozän, die Turba-Mylonitzone, in zwei Stockwerke geteilt. Das untere Stockwerk weist tertiäre Deformation und Metamorphose auf, das obere wurde vorwiegend in der Oberkreide verformt und metamorph überprägt. Die Decken fallen im Allgemeinen nach Osten ein, weshalb das Kartenbild, von Westen her betrachtet, ein verzerrtes Abbild des Nord-Süd-Profils (Abb. 10-2) darstellt.
Wir beginnen mit den tiefsten Einheiten im Liegenden. Über der Adula-Decke (siehe Kapitel 9) folgt die Misoxer Zone, die vorwiegend Bündnerschiefer und eingelagerte Ophiolithe enthält, aber auch einen dünn ausgewalzten Zug von kontinentaler Kruste und dazugehörigen mesozoischen Sedimenten (Gadriol-Zug). Die Misoxer Zone stellt die Sutur des Valais-Ozeans dar: Die darunterliegende Adula-Decke gehörte zu Europa, die Tambo-Decke darüber zum Briançonnais. U-Pb-Datierung von Zirkon in Metagabbro der Misoxer Zone ergab ein Dogger-Alter (ca. 161 Ma) für die Bildung des Ozeanbodens. Die Metamorphose in der Misoxer Zone ist grünschieferfaziell im Norden und amphibolitfaziell im Süden. Spuren einer vorhergehenden Hochdruckmetamorphose in der Blauschieferfazies, wie sie weiter nördlich im Bündnerschiefer durch Fe-Mg-Karpholit angezeigt wird, sind kaum noch zu finden. Nach Süden wird die Misoxer Zone dünner und keilt schliesslich ganz aus, und zwar aufgrund der ostgerichteten Abschiebungsbewegung der Forcola-Verwerfung (siehe Kapitel 9). Im Hangenden dieser Verwerfung setzt sich die Valais-Sutur weiter südöstlich in Form des Chiavenna-Ophioliths fort, der vor allem aus Serpentinit und Amphibolit besteht. Zirkone im Amphibolit ergaben ein Alter von ca. 93 Ma (Oberkreide), was als Zeitpunkt der ozeanischen Krustenbildung interpretiert wird. Das Valais-Becken weist also auch in diesem Querschnitt, wie in den Walliser Alpen, sowohl jurassischen als auch oberkretazischen Ozeanboden auf. Die Sutur fällt im Bereich des Chiavenna-Ophioliths steil nach Norden ein; dies ist auf die Aufrichtung des Deckenstapels im Zusammenhang mit der Intrusion und Verfaltung des Bergell-Plutons und den Bewegungen an der Engadiner Linie zurückzuführen. Südlich des Chiavenna-Ophioliths folgt der Gruf-Komplex, der von hochmetamorphen (amphibolit-, teilweise granulitfaziellen) Gneisen aufgebaut wird. Die Granulitfazies-Metamorphose ist wahrscheinlich permisch, der Grad der alpinen (lepontinischen) Metamorphose ist aber kaum niedriger: hohe Amphibolitfazies mit beginnender Aufschmelzung. Der Gruf-Komplex dürfte, da er im Liegenden der Valais-Sutur liegt, zu Europa gehört haben. Ob es sich um einen Teil der Adula-Decke handelt oder um eine davon unabhängige Einheit, ist unklar. Gegen die Zugehörigkeit zur Adula-Decke spricht das Fehlen von Hochdruckrelikten; vielleicht hat letzteres aber auch andere Gründe.
Die Tambo-Decke und die darüber folgende Suretta-Decke enthalten vor allem variszisches Grundgebirge mit oberkarbonischen und permischen Intrusiva, z.B. dem grünen Rofna-Porphyr der Suretta-Decke, einem beliebten Baustein, oder dem Truzzo-Granit der südlichen Tambo-Decke. Tambo- und Surettadecke haben eine mesozoische Sedimentbedeckung. Traditionell wurde diese als komplett autochthon angesehen. Die Suretta-Bedeckung enthält Malmkalk, der diskordant auf Mitteltriaskarbonaten auflagert, wie in den Préalpes Rigides und in der Barrhorn-Serie der Bernhard-Decke. Nach neueren lithostratigraphischen Vergleichen ist eventuell nur der untere Teil der Bedeckung autochthon, der höhere (mit Mitteltrias und Malmkalk) hingegen allochthon („Starlera-Decke“).
Die Schamser Decken sind Sedimentdecken mit kleinen Resten von Kristallin. Ihre Schichtfolge reicht bis in die Oberkreide, möglicherweise bis ins Tertiär. Sie wurden dünn ausgewalzt und mehrfach gefaltet. Teilweise sind sie in Karbonatplattform-Fazies ausgebildet, wie die Préalpes Rigides. Dies gilt für die Tschera-Kalkberg-Decke, eine der Schamser Decken, die die Splügener Kalkberge und den Averser Weissberg (Abb. 10-3) aufbaut. Ein anderer Teil (Gelbhorn-Decke) weist die „Subbriançonnais-Fazies“ der Préalpes Plastiques auf, stammt also vom Abhang zwischen der Plattform im Süden und einem Becken im Norden. Für diesen Teil sind grobe kristallinführende Brekzienschüttungen von Dogger- bis Unterkreidealter typisch (Vizanbrekzie). Die Schamser Decken wurzeln wahrscheinlich in der Misoxer Zone und stammen vom Nordrand des Briançonnais-Kontinents gegen das Valais-Becken. Sie sind heute um die Stirn der Tambo- und Suretta-Decke herumgewickelt und nach Süden über die eigentlich tektonisch höhere Suretta-Decke und auch noch den darüberliegenden Averser Bündnerschiefer zurückgefaltet oder zurückgeschert („Rückbürstung“). Dies geschah bei der oligozänen Niemet-Beverin-Deformationsphase vor etwa 35 Ma, die als Dehnungsereignis interpretiert wird.
Der Averser Bündnerschiefer stammt aus dem Bereich des Piemont-Ligurischen Ozeans, ist also eine Obere Penninische Decke, die jedoch durch die beschriebene Rückfaltung unter die mittelpenninischen Schamser Decken geraten ist. Es handelt sich um eine Mélange aus Tonschiefern, wahrscheinlich von Kreidealter, und Ophiolithen mit einer Bedeckung aus Radiolarit und Aptychenkalk. Der Averser Bündnerschiefer weist eine druckbetonte Metamorphose in der Blauschieferfazies (Glaukophan) auf.
Der aus kalkigen und siliziklastischen, turbiditreichen Serien aufgebaute Arblatsch-Flysch ist ein Teil der Unteren Penninischen Decken, die weiter nördlich mit Bündnerschiefer und Prättigau-Flysch breit aufgeschlossen sind. Er wurde nach Süden über die Schamser Decken zurückgeschert (Abb. 10-2, 10-3). Das Alter des Arblatsch-Flyschs reicht von der Oberkreide bis ins frühe Eozän. Folglich kann die Versenkung und Verformung dieser Einheit erst im Eozän begonnen haben. An der Basis des Arblatschflyschs, über den Schamser Decken, liegt der Martegnas-Zug mit Ophiolithen und einer Bedeckung aus Radiolarit und Aptychenkalk, wie sie für die Oberen Penninischen Decken (Piemont-Ligurischer Ozean) typisch sind, nicht aber für die Unteren. Ob die heutige Lage dieser Einheit zwischen Arblatsch-Flysch und Schamser Decken auf eine alpintektonische oder eine paläogeographische Komplikation zurückzuführen ist, ist noch unklar.
Die Hangendgrenze des Arblatschflyschs ist die Turba-Mylonitzone. Darüber folgen die Oberen Penninischen Decken mit Platta-, Forno-Malenco- und Margna-Decke. Die Platta-Decke (Abb. 10-3, 10-4) umfasst Ophiolithe des Piemont-Ligurischen Ozeans mit Serpentinit, ozeanischem Gabbro (ca. 161 Ma), Kissenbasalt (Abb. 10-5), und einer Sedimentbedeckung aus Radiolarit, Aptychenkalk, kreidezeitlichen Schiefern, z.T. mit Turbiditlagen, sowie als Abschluss Oberkreideflysch. Schuppen von ostalpiner kontinentaler Kruste, die in der Platta-Decke zwischen ozeanischem Basement (Serpentinit, Gabbro) und der Sedimentbedeckung stecken (Abb. 10-4), werden als extensionale Allochthone aus der Rifting-Phase interpretiert. Die Platta-Decke ist im Nordteil anchizonal, im Süden grünschieferfaziell metamorph. Im Süden liegt die Platta-Decke über der kontinentalen Margna-Decke, darunter liegen die Malenco-Forno-Ophiolithe; hier ist die Piemont-Ligurische Sutur also zweigeteilt.
Die Malenco-Einheit ist im Wesentlichen ein großer Serpentinit-Komplex. Teilweise sind auch nicht-serpentinisierte Peridotite erhalten geblieben. Die Serpentinisierung geschah in der Nähe des Ozeanbodens im Jura. Im Kontakt zum Serpentinit stehen kontinentale granulitfazielle Gneise, wobei das Alter der Granulitfazies Perm ist. Ein ebenfalls permischer (270 Ma) Gabbro-Körper intrudiert sowohl in den Serpentinit als auch in die Granulite. Dies wird folgendermaßen interpretiert: Der Peridotit ist wesentlich älter als der Ozean. Er repräsentiert subkontinentalen Mantel, der Granulit die kontinentale Unterkruste, d.h., es liegt hier eine Paläo-MOHO vor. Beide wurden im Perm vom Gabbro durchschlagen. Erst im Jura wurden diese Gesteine durch detachment faults am Meeresboden freigelegt. Die Malenco-Einheit geht nach Westen in die Forno-Einheit, einen „normalen“ Ophiolith mit ozeanischem Basalt, über. Malenco und Forno weisen grünschieferfazielle Metamorphose auf und in der Nähe des Bergell-Plutons zusätzlich eine oligozäne Kontaktmetamorphose. Nordwestlich der Engadiner Linie stellen die Lizun-Grünschiefer die Fortsetzung der Forno-Einheit dar.
Die Margna-Decke besteht aus ehemaliger kontinentaler Oberkruste (Maloja-Serie: Ortho- und Paragneise) und ehemaliger Unterkruste (Fedoz-Serie: Gneis mit permischer granulitfazieller Metamorphose), intrudiert vom permischen Fedoz-Gabbro. Dies entspricht der Situation in der Dent-Blanche-Decke (Maloja-Serie = Arolla-Serie, Fedoz-Serie = Valpelline-Serie, Fedoz-Gabbro = Matterhorn-Gabbro). Das Ganze wurde vermutlich in der höheren Oberkreide unter Bedingungen der höheren Grünschieferfazies metamorphosiert und gleichzeitig mylonitisch geschert (Abb. 10-6). Die Margna-Decke stammt aus dem Margna-Sesia Fragment (Cervinia), Platta und Malenco-Forno aus den beidseits davon gelegenen Becken des Piemont-Ligurischen Ozeans.
Der Bergell-Pluton besteht aus einem äußeren Teil aus ca. 32 Ma altem Tonalit und einem inneren Teil aus ca. 30 Ma altem Granodiorit (Abb. 10-7). Durch die Kippung des Deckenstapels nach Osten ist im Westen die Basis des Plutons aufgeschlossen, im Osten das Dach (Abb. 10-8). Die Basis ist etwa parallel zum Lagenbau im unterlagernden Gruf-Komplex und mit diesem zusammen zu Ost-West-verlaufenden, aufrechten Falten verformt. Das Dach ist hingegen diskordant, hier intrudiert der Granodiorit in verschiedene Decken und schneidet auch die Turba-Mylonitzone ab, wodurch deren Alter auf mehr als 30 Ma festgelegt wird. Die kontaktmetamorphe Aureole des Bergell-Plutons wird andererseits von der Engadiner Verwerfung abgeschnitten, die deshalb jünger als 30 Ma sein muss. Sie hat hier zu einer Anhebung des südöstlichen Blockes (mit dem Bergell-Pluton) relativ zum nordwestlichen Block geführt, kombiniert mit einer sinistralen Bewegung. Die Geochemie der Bergell-Intrusiva weist auf eine Herkunft aus der partiellen Aufschmelzung von lithosphärischem Mantel sowie eine darauffolgende Kontamination durch Komponenten der Erdkruste beim Aufstieg der Schmelze. Der kleine Granitstock von Novate (Abb. 10-7), ein granatführender Leukogranit, der vor ca. 25 Ma in den Gruf-Komplex und die Basis des Bergell-Plutons intrudierte, entstand hingegen aus der Aufschmelzung von Krustengesteinen.
Die Turba-Mylonitzone fiel ursprünglich flach nach Osten ein. Kalkmylonite der Mylonitzone sind erosionsresistenter als die Averser Bündnerschiefer und Platta-Grünschiefer, die sie am Piz Turba unter- bzw. überlagern, und bilden deshalb eine markante Felszacke (Abb. 10-9). Die Mylonite weisen ein ostfallendes Streckungslinear mit ostgerichtetem Schersinn auf (Abb. 10-10). Die Turba-Mylonitzone war als Abschiebung aktiv (Abb. 10-11 c), und zwar nach dem Untereozän (jüngste Fossilien des Liegenden im Arblatsch-Flysch) und vor 30 Ma (Bergell-Granodiorit). Die Rückfaltung und –Scherung der Suretta-Decke im Liegenden der Turba-Mylonitzone steht im Zusammenhang mit der Bewegung der Turba-Mylonitzone und ist deshalb ebenfalls als Phänomen der Dehnungstektonik anzusehen. Nach Süden wird die Turba-Mylonitzone zwar vom Bergell-Pluton abgeschnitten, aber sie muss sich vor dessen Intrusion, nach Westen herumbiegend, in der Insubrischen Verwerfung fortgesetzt haben (vgl. Abb. 9-17 E). Nach ihrer Aktivität wurde die Mylonitzone durch etwa E-W-streichende Falten verformt (Abb. 10-11 d); diese gehören wohl zur gleichen Deformationsphase wie die Falten, die die Basis des Bergell-Plutons verformen, und entsprechen zeitlich ungefähr der Domleschg-Phase (ca. 30 bis 25 Ma; siehe Abb. 5-6)
Abb. 10-1: Tektonische Karte der ostalpin-penninischen Grenzregion (südlicher Teil) in Graubünden. Aus Nievergelt et al. (1996).
Abb. 10-2: Nord-Südprofil durch das Kartengebiet von Abb. 10-1. Aus Nievergelt et al. (1996).
Abb. 10-3: Blick aus dem Gebiet des Piz Turba nach Norden auf den Talschluss des Avers-Tals. Ar: Arblatsch-Flysch; Av: Averser Bündnerschiefer; Sc: Schamser Decken (Averser Weissberg aus Malmkalk). Das dunkle Bergmassiv des Piz Platta besteht aus Grünschiefer und Serpentinit der Platta-Decke. Die Grenze zwischen Platta-Decke und Arblatsch-Flysch ist die Turba-Mylonitzone. Die Schamser Decken laufen nach Süden in einem dünnen, hellen Felsband aus Malmkalk, der Bandflue, aus. Links am Horizont der Tödi in den Glarner Alpen (Helvetikum).
Abb. 10-4: Schema des Aufbaus der Platta-Decke vor der alpinen Deformation. Continental basement cataclasite, prerift sediments und synrift breccia stellen ein extensionales Allochthon dar, das vor der Förderung der Basalte und vor der Ablagerung der ozeanischen Sedimente durch einen flachliegenden Dehnungsbruch auf dem freigelegten Gestein des Erdmantels (serpentinite) zu liegen kam. Aus Froitzheim & Manatschal (1996).
Abb. 10-5: Kissenbasalt aus dem Jura am Gipfel des Piz Platta.
Abb. 10-6: Mylonitisierter spätvariszischer Granit der Margna-Decke (Maloja-Gneis) in der Nähe des Maloja-Passes. Asymmetrische Kalifeldspat-Porphyroklasten zeigen einen Transport des Hangenden nach W bis SW (links) an.
Abb. 10-7: Nord-Süd-Profil der Bergell-Intrusion und ihres Rahmens. Aus Berger et al. (1996).
Abb. 10-8: Versuch einer 3D-Darstellung der Bergell-Intrusion und der umgebenden Decken. Aus Froitzheim et al. (1994).
Abb. 10-9: Die Turba-Mylonitzone am Piz Turba (Berg links im Bild). Av: Averser Bündnerschiefer; Tm: Kalkmylonit der Turba-Mylonitzone; Pl: Grünschiefer der Platta-Decke. Norden ist rechts. Die Mylonitzone wurde in diesem Bereich durch spätere Faltung in eine steil nordfallende Orientierung gebracht.
Abb. 10-10: Kalkmylonit der Turba-Mylonitzone mit einem aus Quarz bestehenden Sigma-Klast, der sinistralen, abschiebenden Schersinn anzeigt. Osten ist links.
Abb. 10-11: Blockdiagramme zur Illustration der tektonischen Entwicklung an der Ostalpin-Penninikum-Grenze. a: Kreidezeitliche Orogenese. Westgerichtete Überschiebungstektonik und Bildung des oberpenninisch-ostalpinen Deckenstapels. Spätkretazische Dehnungsbrüche (Ducan-Ela-Phase) sind gleichzeitig hinter der Überschiebungsfront aktiv. b: Eozäne Kontinentkollision: Der Kreidezeitliche Deckenstapel wird nach Norden über die mittel- und unterpenninischen Einheiten geschoben, gleichzeitig mit der Bildung einer ersten Faltengeneration in diesen Einheiten. c: Orogenparallele Extension in Obereozän bis Unteroligozän; Bildung der Turba-Mylonitzone als flaches detachment mit steil einfallenden Abschiebungen im Hangenden. Die Rückscherung und Rückfaltung der Einheiten im Liegenden (Niemet-Beverin-Phase) wird als eng mit der Turba-Mylonitzone zusammenhängende, ebenfalls extensionale Deformation angesehen. d: Spätoligozäne bis miozäne dextrale Transpression an der Insubrischen Linie führt zur Verfaltung des soeben intrudierten Bergell-Plutons und der Turba-Mylonitzone. Aus Nievergelt et al. (1996).
Kapitel 11: Die Penninischen Decken im Berich der Ostalpen-Zentralalpen-Grenze (Nördlicher Teil)
Die Struktur der Penninischen Decken in diesem Gebiet wird durch das Prättigau-Halbfenster geprägt (Abb. 11-1, Abb. 11-2). In diesem nach Westen offenen Halbfenster sind penninische Sedimentdecken aufgeschlossen; im Norden, Osten und Süden werden sie umrahmt von den überlagernden ostalpinen Decken. Das Halbfenster stellt die östliche Fortsetzung jenes Sattels dar, in dessen Kern weiter westlich das Aarmassiv aufgeschlossen ist. Von unten nach oben stehen folgende penninischen Einheiten im Prättigau-Halbfenster an: Bündnerschiefer und Prättigau-Flysch (Untere Penninische Decken), Falknis-Decke und Sulzfluh-Decke (Mittlere Penninische Decken), Arosa-Zone (Obere Penninische Decken). Nördlich des Hauptvorkommens der Falknis-Decke (FN in Abb. 11-1), in Liechtenstein und Vorarlberg, werden die Unteren Penninischen Decken durch den Rhenodanubischen Flysch vertreten.
Der Komplex von Bündnerschiefer und Prättigau-Flysch umfasst kreidezeitliche und tertiäre Gesteine, welche die ehemalige Füllung des Valais-Ozeanbeckens darstellen. Teile davon wurden wohl auch auf dem distalen Kontinentalrand von Europa, z.B. auf dem Grundgebirge der heutigen Aduladecke, abgelagert. Die Abgrenzung der Begriffe „Bündnerschiefer“ für den älteren Teil und „Prättigau-Flysch“ für den jüngeren Teil ist etwas unscharf. Es handelt sich insgesamt um eine in mehreren Schuppen gestapelte Schichtfolge von kalkigen, tonigen und sandigen Sedimenten, deren unterer, kreidezeitlicher Teil eher kalkreiche Schichten enthält, während im oberen, tertiären Teil auch ausgesprochen siliziklastische, turbiditische Sedimente auftreten, wie etwa die jüngste Formation, der Ruchberg-Sandstein aus dem frühen Eozän. Häufig sind die Schichten stark verfaltet (Abb. 11-3); dabei lassen sich vier Deformationsphasen unterscheiden. Nach der ersten Phase (spätes Eozän?), die den erwähnten Schuppenbau im Zuge nordgerichteter Abscherungs- und Überschiebungstektonik hervorbrachte (Abb. 11-4: D1), fand im frühen Oligozän eine südostgerichtete Rückfaltung statt (Abb. 11-4: D2). Sie entspricht der Niemet-Beverin-Phase weiter südlich (siehe Kapitel 10). Die dritte Phase bildete durch Verkürzung in Süd-Nord-Richtung eine nordvergente Antiform (Lunschania-Antiform) und nördlich daran anschließend eine ebensolche Synform (Valzeina-Synform) heraus. Die Lunschania-Antiform ist eine der bedeutendsten Strukturen der Zentralalpen. Sie kann vom Nordostende des Prättigau-Halbfensters nach Südwesten bis zum Piz Lunschania, der Typlokalität vor der Front der Aduladecke, verfolgt werden und von dort weiter ins Gebiet der Lepontinischen Decken. Bei der vierten Phase kam es zu einer weiteren Verkürzung in Nordwest-Südost-Richtung und dementsprechend zur Bildung von Falten mit mittelsteil nach Südosten einfallenden Achsenebenen.
Der Metamorphosegrad des Bündnerschiefer-Prättigauflysch-Komplexes nimmt von Norden nach Süden zu. Am Nordrand des Halbfensters erfuhren die Gesteine nur anchizonale Bedingungen, während im Süden bei Chur auf eine ältere Hochdruck-Niedertemperatur-Metamorphose eine grünschieferfazielle Überprägung folgte. Die Hochdruck-Niedertemperatur-Metamorphose wird durch das Vorkommen von Fe-Mg-Karpholith belegt, der sich bei etwa 7 kbar Druck und Temperaturen unter 300° C bildete.
Nach Norden keilt der Komplex von Bündnerschiefer und Prättigauflysch zwischen der überlagernden Falknisdecke und dem unterlagernden Helvetikum aus. Weiter nördlich lösen sich diese beiden Einheiten wieder voneinander, und zwischen ihnen schaltet sich der Vorarlberger Flysch, ein Teil der Rhenodanubischen Flyschzone, ein. Diese Serie beginnt mit den kalkigen Tristelschichten im Barrème und Apt und reicht in Vorarlberg bis ins Maastricht. Der Flysch ist unmetamorph. Er stammt vermutlich ebenfalls aus dem Valais-Ozeanbecken, wurde in diesem Becken aber südlich des Bündnerschiefer-Prättigauflysch-Komplexes abgelagert, direkt nördlich an den kontinentalen Briançonnais-Bereich anschließend. Es finden sich nämlich große Übereinstimmungen zwischen den Schichten der Unterkreide in der Falknis-Decke (Abb. 11-5), die vom Nordrand des Briançonnais-Kontinents stammt, und den gleichalten Schichten im Rhenodanubischen Flysch. Es ist wahrscheinlich, dass zu dieser Zeit die Falknis-Decke den proximalen und der Rhenodanubische Flysch den nördlich anschließenden, distaleren Teil eines einzigen turbiditischen Sedimentsystems dargestellt hat. Erst nördlich vom Rhenodanubischen Flysch folgte der Abagerungsraum von Bündnerschiefer und Prättigau-Flysch.
Die Falknis-Decke stellt eine Sedimentfolge von Jura (lokal auch etwas Trias) bis Eozän dar. Sie wurde am nördlichen Kontinentalhang des Briançonnais-Kontinents abgelagert und ist dementsprechend in einigen Abschnitten von Massenbewegungen charakterisiert. Besonders auffallend ist die Falknisbrekzie aus dem Malm, die aus untermeerischen Schuttströmen (debris flows) von Kristallin- und Sedimentgesteinsbruchstücken besteht. Das Material wurde zum Teil vorher durch Flusstransport gerundet, was auf ein teilweise festländisches Liefergebiet hinweist (Abb. 11-6). Die Falknis-Decke kommt neben ihrem Hauptverbreitungsgebiet, dem Falknis-Massiv in Liechtenstein und der Schweiz, auch noch in isolierten Schuppen weiter südlich vor, unter anderem am Gürgaletsch bei Lenzerheide (rechts in Abb. 11-2). Häufig sind die Schichtpakete der Falknis-Decke spektakulär verfaltet. Am Gürgaletsch fallen südostgerichtete Rückfalten ins Auge, die bei der Niemet-Beverin-Phase entstanden. Ihre Bildung hängt mit der südostgerichteten Scherung der Turba-Mylonitzone zusammen. Diese lässt sich von Süden bis hierher verfolgen und klingt im Hangenden der Falknisdecke am Gürgaletsch aus (GSZ = Gürgaletsch Shear Zone in Abb. 11-2).
Strukturell über der Falknis-Decke lagert die Sulzfluh-Decke; allerdings vertreten sich diese beiden Decken gegenseitig in der Weise, dass die Falknis-Decke dort mächtig ausgebildet ist, wo die Sulzfluh-Decke dünn ist oder fehlt, und umgekehrt. Das auffallendste und mächtigste Schichtglied der Sulzfluh-Decke ist der Sulzfluh-Kalk aus dem Malm, der von einer Karbonatplattform im Briançonnais-Bereich stammt und die berühmten Kletterberge um Sulzfluh und Drusenfluh aufbaut (Abb. 11-7, 11-8, 11-9). Der Sulzfluh-Kalk liegt diskordant auf älteren Gesteinen, und zwar auf Resten von Lias und Trias oder direkt auf dünnen Schuppen eines vermutlich varizischen Granits. Diese Diskordanz spiegelt die Heraushebung des Briançonnais-Bereichs über den Meeresspiegel im Dogger und das spätere Versinken des entstandenen Festlands im Malm. In der Unterkreide wurde das Gebiet erneut über den Meeresspiegel gehoben, um dann im Cenoman wieder zu versinken, worauf der verkarstete Sulzfluh-Kalk von den pelagischen, häufig roten Mergeln der Couches Rouges überlagert wurde, die von Cenoman bis Paläozän reichen. Das jüngste Sediment ist ein Flysch von Paläozän- bis Eozän-Alter. In ihrer sedimentären Entwicklung ähnelt die Sulzfluh-Decke stark der Mythen-Klippe in der Zentralschweiz. An der Sulzfluh und Drusenfluh ist der Sulzfluh-Kalk durch mehrere Überschiebungen zu einem sattelförmigen Stapel (antiformal stack) aufgehäuft. Durch diese Überschiebungen wurde teilweise auch Gestein der Aroser Zone zwischen den Platten von Sulzfluhkalk eingeklemmt (Abb. 11-10, 11-11).
Die Aroser Zone schließlich besteht aus Schuppen von ozeanischer Kruste aus dem Piemont-Ligurischen Ozean (z.B. Totalp-Ophiolith bei Davos), Mélanges mit schiefriger Matrix und teils ophiolithischen, teils ostalpinen Komponenten, sowie Flyschpaketen. Einer dieser Flyschkomplexe, der Verspala-Flysch aus dem Turon (Abb. 11-12), enthält Chromspinell, was vermuten lässt, dass zu dieser Zeit in seinem vermutlich am ostalpinen Kontinentalrand gelegenen Liefergebiet Ophiolitheinheiten über den Meeresspiegel angehoben worden waren und erodiert wurden. Daraus kann man schließen, dass im Turon die Subduktion und Akkretion des Piemont-Ligurischen Ozeans im Gange war. Im östlichen Rätikon ist die Aroser-Zone in drei tektonische Pakete geteilt: Zuunterst liegt eine Melange mit schiefriger Matrix („Alpbach-Schiefer“), darüber folgt der erwähnte Verspala-Flysch, und zuoberst liegt eine Mélange mit Serpentinit-Matrix. Der darüberliegende Schwarzhorn-Diorit gehört bereits zum Unterostalpin (Abb. 11-12).
Kapitel 12: Das Penninikum in den Ostalpen
In den Ostalpen ist das Penninikum weitflächig unter den Ostalpinen Decken verborgen. Es kommt einerseits in einer schmalen Zone am Alpennordrand zum Vorschein, der Rhenodanubischen Flyschzone, andererseits in drei größeren Fenstern, dem Engadiner Fenster in den westlichen Ostalpen, dem Tauernfenster in den zentralen Ostalpen und der Rechnitzer Fenstergruppe am Alpenostrand. Die Bildung dieser Fenster steht im Zusammenhang mit der tertiären Bruchtektonik.
12.1. Das Engadiner Fenster
Das Südwest-Nordost-streichende Engadiner Fenster, auch Unterengadiner Fenster genannt, schließt einen Stapel von Penninischen Decken auf, überlagert und eingerahmt von Ostalpinen Decken (Abb. 12-1). Die letzteren umfassen die Silvretta-Decke im Norden, die S-charl-Sesvenna-Decke im Süden und die Ötztal-Decke im Osten. Alle gehören zum Unteren Zentralostalpin. Die Freilegung penninischer Decken im Fenster ist nur zum geringeren Teil auf die Erosion durch den Inn zurückzuführen; eine wichtigere Rolle spielen tektonische Bewegungen entlang der Engadiner Linie, einer tertiären Verwerfung, die streckenweise den Südostrand des Fensters bildet. Die Engadiner Linie war in diesem Bereich als südostfallende, schräge Abschiebung mit sinistraler Komponente aktiv, sodass die penninischen Einheiten des Fensters relativ zur S-charl-Sesvenna-Decke angehoben wurden. Zusätzlich wurden die Decken durch eine Südwest-Nordost-verlaufende Sattelstruktur aufgewölbt, die ebenfalls tertiären Alters ist (Abb. 12-2).
Die Abfolge der Decken lässt sich am besten entlang des westlichen und nördlichen Fensterrandes beobachten; im Südosten haben die Bewegungen entlang der Engadiner Linie den Deckenstapel zu sehr ausgedünnt. Im Westen liegt zuoberst als Fensterrahmen das ostalpine Altkristallin der Silvretta-Decke (Abb. 12-3). Es enthält am Westrand des Fensters auffallend häufig alpine Pseudotachylite, also bei Erdbeben durch Reibungswärme entstandene und glasartig erstarrte Gesteinsschmelzen (Abb. 12-4). Darunter lagern lokal Schuppen von ostalpinen Sedimentgesteinen in der Fazies des Bajuvarikums der Nördlichen Kalkalpen, die sogenannten Subsilvrettiden Schollen. Darunter folgt als oberste penninische Einheit die aus dem Piemont-Ligurischen Ozean stammende Aroser Zone mit Ophiolithen (Serpentinit, Gabbro, Basalt), ozeanischen Sedimentserien (Radiolarit, Aptychenkalk; Abb. 12-5) und Flyschen.
Als nächsttiefere Einheiten folgt die Fimber-Zone. Sie besteht aus Flyschen von Kreide-bis Untereozänalter, in die Schollen älterer Gesteine als Olistholithe oder tektonische Linsen eingearbeitet sind. Diese Schollen entsprechen in ihrer Zusammensetzung weitgehend der Tasna-Decke (siehe unten). Besonders auffallend sind Schollen von Steinsberger Kalk (Liasbrekzie), die in der Umgebung der Heidelberger Hütte im Fimbertal als „Zuckerhüte“ aus den umgebenden Flyschen hervorragen (Abb.12-6). Im südwestlichsten Teil des Engadiner Fensters setzt sich die Fimber-Zone im sogenannten Tasna-Flysch fort. Die Funde von untereozänen Foraminiferen in der Fimber-Zone sind insofern von großer Wichtigkeit, als sie anzeigen, dass das Penninikum des Engadiner Fensters erst nach dem unteren Eozän durch die ostalpinen Decken überschoben worden sein kann.
In der unter der Fimber-Zone folgenden Tasna-Decke ist der Übergangsbereich zwischen der kontinentalen Kruste des Briançonnais und dem Valais-Ozean erhalten geblieben; deshalb wollen wir sie etwas genauer betrachten. Die eigentliche Tasna-Decke liegt im südwestlichen Teil des Fensters; ähnliche Gesteinskomplexe im nördlichen Teil wurden von R. Trümpy mit der Tasna-Decke parallelisiert (Abb. 12-1). Die eigentliche Tasna-Decke umfasst von unten nach oben folgende Gesteinskomplexe:
(1) serpentinisierte Peridotite;
(2) kontinentales Grundgebirge bestehend aus Schiefern, Gneisen und variszischen Graniten (Tasna-Granit);
(3) Trias- und Jura-Sedimente als Bedeckung des kontinentalen Grundgebirges, und zwar Quarzit, Dolomit, Gips, Rauhwacke und Tonschiefer aus der Trias, den liassischen Steinsberger Kalk (eine rote Synrift-Brekzie), sowie Malmkalke mt Brekzienlagen (Jes-Kalk mit Falknis-Brekzie);
(4) Kreide- Sedimente, und zwar Tonschiefer aus der Unterkreide („Neokom“), Kalkturbidite aus dem Oberbarreme-Unterapt (Tristel-Schichten), Sandsteine, Grauwacken und Schwarzschiefer aus dem Apt bis Cenoman („Gault“), sowie pelagische Mergel aus der Oberkreide, die sich mit Brekzien verzahnen (Couches Rouges und „Brekzien-Formation“).
Die Kreide-Schichtfolge, beginnend mit dem „Neokom“, liegt im Nordteil der Tasna-Decke (Abb. 12-7) direkt auf Peridotit und im Südteil auf dem kontinentalen Grundgebirge. Granit-Gneis-Kataklasite an der Obergrenze des kontinentalen Grundgebirges sowie Ophikalzite (d.h von Kalzitadern durchzogene Serpentinit-Kataklasite) an der Obergrenze des Peridotits wurden durch Spröddeformation entlang einer extensionalen Scherzone (detachment fault) gebildet, am Meeresboden freigelegt und anschließend vom „Neokom“ sedimentär bedeckt (Abb. 12-8). Der Peridotitkomplex stellt also ursprünglich subkontinentales Mantelgestein dar, das am Ozeanboden freigelegt wurde, nachdem die Dehnungstektonik im Oberjura und der untersten Kreide die kontinentale Kruste bis auf Null ausgedünnt hatte (Abb. 12-9). Die Tasna-Decke dient heute als Modell für Ozean-Kontinent-Übergänge an nicht-magmatischen passiven Kontinentalrändern.
Unter der Tasna-Decke bzw. der Fimber-Zone folgt die Zone von Ramosch (= Zone von Prutz-Ramosch), eine Mischzone von Ophiolithen des Valais-Ozeans, Trias-Sedimenten und wenig kreide- bis tertiärzeitlichen Flyschen. Einige Peridotitkörper, die früher zur Zone von Ramosch gerechnet wurden, gehören nach neueren Untersuchungen tektonisch zur Tasna-Decke, da sie von der Kreide-Abfolge der Tasna-Decke , wie oben angesprochen, sedimentär überlagert werden (Abb. 12-7). Unter der Zone von Ramosch liegt die Zone von Roz-Champatsch (=Zone von Roz-Champatsch-Pezid), die vor allem von oberkreidezeitlichen bis alttertiären Flyschen aufgebaut wird.
Darunter folgt schließlich als tiefste Einheit des Engadiner Fensters die Pfundser Zone , die weitgehend aus mächtigen Bündnerschiefern, d.h. Kalkglimmerschiefern besteht, deren Alter wahrscheinlich größtenteils Kreide ist und im obersten Teil Tertiär. An der Grenze zwischen der Pfundser Zone und der Roz-Champatsch-Zone steckt eine Reihe von Sedimentschollen mit ostalpiner Fazies, wovon die größte die Stammerspitze (Abb. 12-10) aufbaut und eine Schichtfolge von Nor (Hauptdolomit) bis Oberjura umfasst. Wenn die Roz-Champatsch-Zone und die Pfundser Zone, wie allgemein angenommen wird, Sedimente aus dem Valais-Ozean darstellen und die Stammerspitz-Scholle als Olistolith von der Front der Ostalpinen Decken eingeglitten ist, würde dies bedeuten, dass die Front der Ostalpinen Decken zu dieser Zeit bereits von Süden über den Briançonnais-Bereich vorgestoßen war. Das kann erst im Tertiär passiert sein, da die Sedimentation im Briançonnais -Bereich (Tasna-Decke) ja bis in die höhere Oberkreide ging (Couches Rouges, siehe oben). Die Annahme einer rein tektonischen Platznahme der ostalpinen Schollen, etwa durch eine out-of-sequence-Überschiebung, bringt mindestens ebenso große Probleme mit sich.
Die Pfundser Zone beinhaltet am Piz Mundin, im strukturell tiefsten aufgeschlossenen Teil des Engadiner Fensters, einen großen Ophiolithkörper (Metabasalt und Metagabbro). Der Ophiolitkörper enthält Glaukophan, die ihn umgebenden Bündnerschiefer Magnesium-Karpholit, wodurch hohe Drücke von ca. 12 kbar bei relativ niedrigen Temperaturen um 375°C angezeigt werden. Die höheren Anteile der Pfundser Zone und die darüberliegenden Decken weisen niedrigere Metamorphose auf (Grünschieferfazies bis Anchizone).
12.2. Das Tauernfenster
Das Tauernfenster ist mit etwa 160 km Länge und 30 km Breite das größte tektonische Fenster penninischer Einheiten in den Ostalpen (Abb. 12-11). Früher wurden die unterostalpinen Einheiten, die am Nordwestrand (Innsbrucker Quarzphyllit und Tarntaler Mesozoikum) und im Nordosten (Radstädter Decken) anstehen, auch zum Inhalt des Tauernfensters gerechnet; neuerdings hat es sich eingebürgert, den Begriff Tauernfenster auf die penninischen Einheiten zu beschränken (siehe Abb. 4.1 im Teil 1 dieses Skripts). Das Fenster wurde freigelegt durch eine Kombination von Erosion und Tektonik. Die tektonischen Ursachen sind erstens E-W-streichende alpine (tertiäre) Falten und Überschiebungen, die zu einer relativen Hochlage des Penninikums im Bereich des Fensters führen. In Nord-Süd-Profilen erscheint das Tauernfenster deshalb als große, kompliziert gebaute Antiform (Abb. 12-12, 12-13). Zweitens wird das Tauernfenster von Verwerfungen begrenzt, an denen es jeweils relativ zu den angrenzenden Bereichen herausgehoben wurde. Hierbei sind folgende Verwerfungen zu nennen:
Westende des Tauernfensters: Dieses wird durch die Brenner-Störung gebildet, eine bedeutende, meist flach (>20°) nach Westen einfallende Abschiebung, mit mächtiger Mylonitzone im Liegenden Block (Penninikum) und einer spröden Bruchfläche am Top der Mylonitzone, also ein typisches extensionales Detachment. Der Höhepunkt der Bewegung liegt bei 18 Ma (Miozän); die ostalpine Ötztal-Decke wurde um mindestens 10 bis 20 km relativ zum Penninikum nach Westen bewegt und um einige km abgesenkt. Der Vertikalversatz ist im Gebiet des Brennerpasses maximal und nimmt nach Norden und Süden ab.
Ostende: An der nach Osten einfallenden Katschberg-Störung tauchen die penninischen Einheiten unter die ostalpinen Decken ab. Es handelt sich hierbei ebenfalls um eine tertiäre Abschiebung, in etwa symmetrisch zur Brenner-Verwerfung. Dadurch gleicht das Tauernfenster im West-Ost-Profil einem von Abschiebungen begrenzten Horst.
Nordrand: Im westlichen und im östlichen Teil des Nordrandes versinken die penninischen Einheiten insgesamt nordfallend unter den ostalpinen Decken. Der mittlere Teil des Nordrandes wird im Gegensatz dazu von einer steilstehenden Verwerfung gebildet, die im Salzachtal (Pinzgau) verläuft. Es handelt sich hierbei um den westlichsten Teil der Salzach-Ennstal-Puchberg-Mariazell-Störung (SEMP), einer sinistralen Seitenverschiebung (Abb. 12-14). Der sinistrale Versatz war mit einer Anhebung des südlichen Blockes (Tauernfenster) verbunden. Nach Osten löst sich die SEMP von der Penninikum-Ostalpin-Grenze und zieht in Nordostrichtung ins Ostalpin. Nach Westen wird die SEMP undeutlich und endet etwa bei Krimml. Innerhalb des westlichen Tauernfensters, entlang des Nordrandes der Zentralgneise, verläuft eine steilstehene mylonitische Scherzone mit sinistralem Versatz (Ahorn-Scherzone), die als duktile westliche Fortsetzung der SEMP interpretiert wird.
Südrand: Der Südrand ist meist eine südfallende Scherzone parallel zu den internen Deckenkontakten des Penninikums. Nur im Osten wird der Südrand lokal von einer NW-SE-streichenden, steilstehenden dextralen, tertiären Scherzone und Verwerfung gebildet, der Mölltal-Linie. Sie ist etwa symmetrisch zur SEMP. Der keilförmige Block zwischen SEMP und Mölltal-Störung bewegte sich relativ zu den nördlich und südlich angrenzenden Bereichen nach Osten, im Zuge der ostgerichteten Extrusion der Ostalpen im Miozän. NachWesten wird der Südrand des Tauernfensters steiler und sogar überkippt, sodass das Penninikum ganz im Westen über die ostalpinen Einheiten zurückgebogen erscheint. Dies ist auf großmaßstäbliche Faltung zurückzuführen, die auch die internen tektonischen Kontakte des Tauernfensters erfasst hat.
Tektonischer Bau des Tauernfensters
Das Penninikum im Tauenfenster wird zweifellos von mehreren bei der alpinen Orogenese übereinander gestapelten Decken aufgebaut, die im weiteren Verlauf verfaltet und teilweise von Scherzonen verformt wurden. Dies macht eine Rekonstruktion und tektonische Gliederung des Deckenstapels schwierig. Die alte Einteilung in Zentralgneise, Untere Schieferhülle und Obere Schieferhülle stützte sich vor allem auf lithologische Kriterien und wurde im Laufe der Zeit durch andere Gliederungen ersetzt, die die tektonische Strukturen, Altersbestimmungen und Metamorphose einzubeziehen versuchten. Das Tauernfenster ist aufgrund seiner Antiklinalstruktur zwiebelschalenartig aufgebaut: Die tektonisch tiefsten Einheiten im Kern und die höchsten an den Rändern. Wir beginnen mit den tiefsten Einheiten.
Venediger-Deckensystem
Der unterste Deckenkomplex im Tauernfenster enthält folgende Komponenten:
Zentralgneise: Dies sind spät- und postvariszische granitoide Plutonite, die alpin zu Orthogneisen umgewandelt wurden (Abb. 12-15). Sie sind in breiten Antiklinalen aufgeschlossen, den Zentralgneiskernen, die von engen Mulden getrennt werden.
Prä-granitische Serien: Dies sind die polymetamorphen (variszisch und alpin) Gesteine, in die die Granitoide (heutigen Zentralgneise) intrudierten. Die prä-granitischen Serien umfassen Amphibolite, Migmatite, Orthogneise, Glimmer- und andere Schiefer und Serpentinite. Die variszische Metamorphose war unterschiedlich hoch, einige Teile haben niedriggradige, einige eine hochgradige variszische Metamorphose. Es gibt in Amphiboliten auch Relikte von wahrscheinlich variszischen Eklogiten. Die Ausgangsgesteine von Amphiboliten und Ultramafika des zentralen Tauernfensters haben jungproterozoische und kambro-ordovizische Alter. Graphitschiefer der Habach-Serie im zentralen Tauernfenster sind nach Mikrofossilfunden jungproterozoisch. Die prä-granitischen Serien oder Teile davon werden auch manchmal als „Altes Dach“, „Altkristallin“ oder „Paläozoische Schieferhülle“ bezeichnet.
Postvariszische Bedeckung: Diese beginnt mit oberkarbonischen und permischen klastischen Serien (Metakonglomerate, Arkosen, Metapelite) die mit Rhyolithen und anderen Vulkaniten verzahnt sind, gefolgt von Quarziten (Untertrias), Dolomiten und Kalkmarmoren (Hochstegen-Marmor). Die letzteren stammen zumindest teilweise aus dem Malm; in ihnen wurde ein Ammonit der Gattung Perisphinctes gefunden. Das Oberkarbon und Perm ist auf ehemalige Grabenbereiche beschränkt; teilweise liegt der Hochstegenkalk direkt transgressiv auf dem Zentralgneis. Über dem Hochstegenkalk folgt noch die Kaserer Serie mit Schwarzschiefern (Phylliten), Quarziten und Karbonaten. Sie wird von den meisten Autoren als kreidezeitlich angesehen. Wahrscheinlich ist die Kaserer Serie jedoch nicht mehr Teil des Venediger-Deckensystems, sondern gehört zu einer höheren tektonischen Einheit, der Rote Wand-Modereck-Decke (siehe unten). Das Venediger-Deckensystem besteht in sich aus mehreren Decken. Die untersten Teile sind die relative wenig verformten Zentralgneiskerne; nach oben hin finden sich in zunehmende Maße allochthone Teile der prä-granitischen Serien und der post-variszischen Bedeckung, zusammen mit Lamellen (dünnen Lagen) des Zentralgneises, die weiter südlich abgeschert abgeschert, ausgewalzt und nach Norden überschoben wurden. Auf diese Weise bildeten sich Teildecken wie die Wolfendorn-, Storz- und Riffl-Decke (Abb. 12-16).
Eklogit-Zone
Die Eklogit-Zone unterscheidet sich durch das reichliche Vorkommen alpiner Eklogite markant sowohl von den darunterliegenen Einheiten des Venediger-Deckenystems als auch von den darüberliegenden Einheiten (Rote Wand-Modereck-Decke und Glockner-Decke). Sie kommt nur im mittleren Teil des Tauernfensters südlich des Venediger-Deckensystems vor. Die Zone ist lithologisch sehr heterogen und stark verformt; eine stratigraphische Abfolge lässt sich nicht rekonstruieren und die Alter der Ausgangsgesteine sind unbekannt. Die Ausgangsgesteine der Eklogite sind Gabbros und tholeiitische Basalte. Sie stecken als Linsen und Lagen in einer Mischung aus Quarziten, Paragneisen, Meta-Arkosen, eklogitfaziellen Granatglimmerschiefern, Kalkglimmerschiefern, Kalk- und Dolomitmarmoren. Aufgrund des Vorkommens von alpinen Eklogiten (siehe unten) kann man annehmen, dass die Eklogitzone den Rest einer Subduktionszone, also eine Sutur darstellt.
Rote Wand-Modereck-Decke
Im zentralen Tauernfenster folgt südlich über der Eklogitzone die Rote Wand-Modereck-Decke, eine aufrecht gelagerte Decke mit variszischem Kristallin an der Basis, überlagert von Permoskyth (Metakonglomerate, Quarzite), mittels Diploporen (fossile Kalkalgen) in die Trias datiertem Dolomit- und Kalkmarmor, und schließlich einer Folge von karbonatischen Brekzien, Phylliten, Glimmerschiefern, Quarziten und Kalkschiefern, wovon der untere Teil in den Jura und der obere, welcher der Kaserer-Serie des nordwestlichen Tauernfensters ähnelt, in die Kreide gestellt wird (Abb. 12-17, 12-18). Ähnliche Decken in gleicher tektonischer Stellung kommen auch in anderen Teilen des Tauernfensters vor, sind dort aber aufgrund des Fehlens der Eklogitzone teilweise schwer vom Venediger-Deckensystem zu trennen. Früher wurde die Trias der Rote Wand-Modereck-Decke als stratigraphisch ältester Teil der Glockner-Decke angesehen. Dies ist ziemlich sicher falsch. Die Sedimente der Glockner-Decke wurden auf ozeanischer Kruste abgelagert, die sich erst im Jura oder der Kreide bildete; deshalb gibt es keine Trias in der Glockner-Decke.
Glockner-Decke
Die Glockner-Decke besteht aus Kalkglimmerschiefern („Bündnerschiefer“), die in unreine Marmore übergehen können, Grünschiefern oder Amphiboliten je nach Grad der alpinen Metamorphose, Metagabbros und Serpentiniten (Abb. 12-19). Das Alter der Kalkglimmerschiefer ist wahrscheinlich, aus Vergleichen mit datierten Serien der West- und Zentralalpen, Kreide. In den Grünschiefern bzw. Amphiboliten sind lokal Pillow-Strukturen erhalten geblieben, ihre Ausgangsgesteine sind also unter Wasser erstarrte Basalte (Abb. 12-20). In den Amphiboliten kommen Relikte von Eklogit vor. Die Glockner-Decke stellt die Sedimentbedeckung und Teile der ozeanischen Kruste eines Ozeanbeckens dar.
Matreier Zone, Klammkalkzone
Die Matreier Zone ist eine Mélange aus ostalpinen Schuppen (meist Trias-Sedimente), penninischen mesozoischen Sedimenten (Kalkglimmerschiefer und kalkfreie Schiefer), sowie Linsen ozeanischer Kruste (Grünschiefer, Serpentinite), im strukturell höchsten Teil des Tauernfensters (Abb. 12-21). Die Grenze zwischen Glockner-Decke und Matreier Zone scheint teilweise fließend zu sein. Die Herkunft der ostalpinen Schuppen in der Matreier Zone lässt sich entweder durch sedimentäres Eingleiten von einem Akkretionskeil in eine Tiefseerinne erklären (Olistolithe), durch tektonische Vermischung bei Subduktion und Akkretion, oder durch Platznahme als extensionale Allochthone, d.h. Klippen über flachliegenden Abschiebungen, im Zuge der Dehnungstektonik, die zur Ozeanöffnung geführt hat.
Die Klammkalk-Zone liegt am nordöstlichen Rand des Tauernfensters noch über Äquivalenten der Matreier Zone. Der Klammkalk ist ein grünschieferfazieller Kalkschiefer, möglicherweise von Malm- bis Unterkreidealter. Er hat seinen Namen davon, dass einige Seitentäler des Salzachtals, z.B. das Gasteiner Tal, in ihrem Unterlauf Klammen in den Kalk eingeschnitten haben.
Metamorphose
Alpine eklogitfazielle Metamorphose ist auf die Eklogitzone und die Glocknerdecke beschränkt. In der Eklogitzone fand die Hochdruckmetamorphose bei Bedingungen von ca. 630°C und 2,5 GPa (25 kbar) statt. Sie wurde mit der Rb/Sr-Methode und der Lu/Hf-Methode auf ca. 32 Ma (Oligozän) datiert. Dies sind also die jüngsten Eklogite in den Alpen. Teilweise ist in den alpinen, im Oligozän gewachsenen Granaten zusätzlich eine ältere Granatkomponente (variszisch oder permisch?) vorhanden. Die Eklogitrelikte der Glocknerdecke zeigen etwas niedrigere Bedingungen an (570°C, 1,7 GPa). In den unterlagernden Einheiten des Venediger-Deckensystems, aber auch in der Rote-Wand-Modereck-Decke, wurden bisher keine Anzeichen für alpine Eklogitfazies-Metamorphose gefunden. Alle tektonischen Einheiten wurden von einer Regionalmetamorphose des Barrow-Typs überprägt, der Tauernkristallisation, deren Grad von Amphibolitfazies im Kern des Tauernfensters nach außen zur Grünschieferfazies abnimmt. Bekannte Beispiele für die amphibolitfazielle Tauernkristallisation sind die Hornblende-Garbenschiefer des westlichen Tauernfensters (Abb. 12-22), die aus wahrscheinlich paläozoischen Sedimenten (prägranitische Serien) des Venediger-Deckensystems hervorgegangen sind.
Paläogeographische Zuordnung
Früher wurde das Venediger-Deckensystem für mittelpenninisch gehalten (Briançonnais). Heute nimmt man allgemein an, dass das Venediger-Deckensystem aus dem südlichen Kontinentalrand Europas stammt. Es wird deshalb heute als Subpenninikum bezeichnet, in Analogie zu den subpenninischen (lepontinischen) Decken in der Schweiz. Auch dort liegt am Top der subpenninischen Decken die Adula-Decke mit tertiären Eklogiten, vergleichbar mit der Eklogitzone des Tauernfensters. Sie würde dann die Sutur des Valais-Ozeans darstellen. Die Rote Wand-Modereck-Decke könnte einen östlichsten Ausläufer des Briançonnais darstellen; eine solche Interpretation wrd unterstützt durch eine gewisse Ähnlichkeit der Kaserer Serie mit Kreide-Serien des Briançonnais, z.B. in der Tasna-Decke und der Falknis-Decke. Die darauf folgende Glockner-Decke würde dann dem Piemont-Ligurischen Ozean entstammen. Dafür spricht ihre Ähnlichkeit mit Serien des Piemont-Ligurischen Ozeans in den West- und Zentralalpen (Combin-Zone). In anderen Rekonstruktionen wird die Glockner-Decke aus dem Valais-Ozean bezogen, die Ophiolithe der Matreier Zone aus dem Piemont-Ligurischen Ozean (z.B. Abb. 2.3 in Teil 1 dieses Skripts). In diesem Fall gäbe es kein Briançonnais im Tauernfenster; die Tasna-Decke im Engadiner Fenster wäre dann das Ostende des auskeilenden Briançonnais.





12.3. Die Rechnitzer Fenstergruppe
Die penninischen Gesteine der Fenster werden als Rechnitzer Serie bezeichnet. Es handelt sich vorwiegend um grünschieferfaziell metamorphe Phyllite von wechselnder Zusammensetzung: Kalkphyllite, Quarzphyllite und Graphitphyllite. Daneben gibt es Lagen von Kalkschiefer, Rauhwacke, Dolomit und Quarzit, fragliche Metaradiolarite sowie Konglomerate und Brekzien mit vorwiegend Triasdolomit-Komponenten (Cáker Konglomerat). Die Ausgangsgesteine der Kalkschiefer konnten anhand von Schwammnadeln in die höhere Unterkreide bis Oberkreide eingestuft werden. In diese Sedimente sind z.T. große Ophiolithkörper eingelagert: Serpentinite, Metagabbros und Metabasalte (Grünschiefer). Die letzteren sind geochemisch zum Teil als Basalte eines mittelozeanischen Rückens ausgewiesen. Die Rechnitzer Serie weist große Ähnlichkeit mit der Glocknerdecke und Matreier Zone des Tauernfensters auf und stellt wahrscheinlich deren östliche Fortsetzung dar.
Die Metamorphose der Ophiolithe und begleitenden Sedimente war zunächst druckbetont (330-370°C bei 6-8 kbar, also im Grenzbereich zwischen Grün- und Blauschieferfazies), später durchliefen die Gesteine ein grünschieferfazielles Metamorphosestadium bei maximal 3 kbar und 390-430°C. In Analogie zum Tauernfenster dürfte die Metamorphose tertiäres Alter haben. Freigelegt wurden die penninischen Gesteine durch eine oder mehrere flachliegende, ostgerichtete Abschiebungen (Detachment Faults) während des Miozäns. Dies wird durch miozäne Abkühlungsalter belegt (Zirkon-Spaltspur-Alter und K-Ar-Hellglimmeralter). Das Penninikum der Fenstergruppe kann als miozäner metamorpher Kernkomplex im Liegenden eines Detachment-Systems angesehen werden (Abb. 12-24). Die Abschiebungen stehen im Zusammenhang mit dem Einbruch des Pannonischen Beckens im Miozän und also auch zur Bildung des Alpen-Ostendes. Ähnliche Verhältnisse liegen weiter südlich im Pohorje-Massiv (Ostalpine Decken) vor, wo gleichzeitig mit der Aktivität eines ostfallenden Detachments in dessen Liegendem ein miozäner Pluton intrudiert ist (Pohorje-Pluton).
12.4. Das Penninikum in der Flyschzone am Nordrand der Ostalpen
Die Flyschzone zieht etwa 500 km lang und oft nur wenige km breit am Nordrand der Ostalpen vom Rheintal südlich des Bodensees bis nach Wien. Da viele der anstehenden Gesteine mergelig und wenig erosionsresistent sind, zeichnet sich die Flyschzone durch hügelige Landschaftsformen und relativ geringe Höhe aus und wird von den schrofferen Bergen der Nördlichen Kalkalpen meist deutlich überragt. Sie wird von unmetamorphen tektonischen Einheiten aus dem Penninikum (Aroser Zone, Rhenodanubischer Flysch) und aus dem Helvetikum im weiteren Sinne (Ultrahelvetikum und Helvetische Decken) aufgebaut. Im Norden wird die Flyschzone von der Molassezone begrenzt, im Süden von den Nördlichen Kalkalpen (Abb. 12-25).
Direkt an der Basis der überschobenen Ostalpinen Decken zieht die Aroser Zone (Oberes Penninikum), von Graubünden kommend, durch Vorarlberg bis ins Allgäu (Abb. 12-26). Die meist nur wenige Meter bis Zehnermeter mächtige Einheit wird vor allem von kreidezeitlichen Mergeln und Sandsteinen aufgebaut. Diese stark zerscherten Gesteine bilden die Grundmasse einer Mélange, in der Schollen älterer Gesteine stecken, teilweise solche aus dem Ostalpin, aber auch Basalte mit einer Bedeckung aus Radiolarit und Aptychenkalk, wie sie typisch für den Piemont-Ligurischen Ozean sind (Abb. 12-27).
Strukturell unter der Aroser Zone folgen die Einheiten des Rhenodanubischen Flyschs. Dies sind turbiditreiche, meist mergelige Serien, die im Westen von Unterkreide bis Maastricht reichen, im Osten (von Salzburg ostwärts) bis ins Eozän (Abb. 12-28). Der Rhenodanubische Flysch besteht aus mehreren durch Überschiebungen getrennten Decken. Der ältere Untergrund, auf dem diese Serien abgelagert wurden, ist nirgends erhalten, mit zwei Ausnahmen: der Ybbsitzer Klippenzone in Niederösterreich (Abb. 12-28) und der Klippenzone von St.Veit im Stadtgebiet und am Rand von Wien.
An dieser Stelle muss erklärt werden, dass der Begriff „Klippen“ in der Flyschzone in Österreich allgemein für vor-kreidezeitliche Gesteine steht, die aufgrund ihrer größeren Erosionsresistenz aus den umgebenden kreidezeitlichen und eozänen Serien morphologisch herausragen. Neben der Ybbsitzer und der St.Veiter Klippenone, die mit dem Rhenodanubischen Flysch verknüpft und deshalb penninisch sind, sind vor allem die Grestener Klippen und die Hauptklippenzone des Wienerwaldes zu nennen, die strukturell unter den Rhenodanubischen Flyschdecken liegen und zum Ultrahelvetikum gehören.
Die Ybbsitzer Klippenzone besteht aus einer gefalteten und zerscherten Abfolge von Serpentinit, Ophicalzit (brekziierter Serpentinit mit Calzitmatrix) und Kissenbasalten, also typisch ozeanischem Untergrund, Radiolarit (Malm) sowie pelagischen Kalken (Obertithon bis Unterberrias). Diese Gesteine werden von einer Flyschserie überlagert, die zum Rhenodanubischen Flysch gehört und von Berrias bis Campan reicht. Die Ophiolithe und ihre Bedeckung mit Radiolarit zeigen, dass die Ybbsitzer Zone aus dem Penninischen (Piemont-Ligurischen) Ozean stammt. Die Ybbsitzer Klippenzone kommt mit den typischen Serpentiniten auch am Wolfgangsee südöstlich von Salzburg in einem Fenster innerhalb der Nördlichen Kalkalpen zum Vorschein (Flyschfenster vom Wolfgangsee).
Die St. Veiter Klippenzone liegt an der Basis der Kahlenberger Decke, einer der Decken des Rhenodanubischen Flyschs im Wienerwald (Abb. 12-28), und stellt wahrscheinlich deren stark zerscherten Untergrund dar. Sie enthält quarzitische Arkosen aus der Obertrias (Keuper-Fazies), Kössener Schichten des Rhät, Crinoidenkalke, Kalksandsteine, Mergel und Tonschiefer aus dem Lias und Dogger, Radiolarite und Hornsteinkalke aus dem Malm, sowie Aptychenkalke und –mergel von Tithon- bis Unterkreidealter. Außerdem kommen Linsen von Basalt und Serpentinit vor. Der Flysch der Kahlenberger Decke wurde also, anders als der, der die Ybbsitzer Klippen überlagert, zumindest teilweise auf kontinentaler Kruste abgelagert, wahrscheinlich auf einem der Kontinentalränder des Penninischen Ozeans.
Was die Schichtfolge des Rhenodanubischen Flyschs betrifft, weisen die verschiedenen Decken gewisse Unterschiede, aber auch große Gemeinsamkeiten auf (Abb. 12-28 bis 12-31). Tonige Serien (Bunte Mergel) wechseln mit grobklastischen Turbiditsystemen ab, wie dem Reiselsberger Sandstein aus dem Cenoman und Turon, der in fast allen Decken vom Rheintal bis Wien vorkommt (Abb. 12-29). Seine Ablagerung fällt mit dem Höhepunkt der kreidezeitlichen Orogenese im Ostalpin zusammen. In der Kahlenberger Decke bei Wien sind Pikrite (olivinreiche Basalte) in die Schichten des Alb bis Cenoman eingelagert, eines der wenigen Zeugnisse für Vulkanismus in den Alpen zu dieser Zeit, neben den sogenannten Ehrwalditen, Lamprophyrgängen aus der Lechtaldecke der Nördlichen Kalkalpen, die ebenfalls ein Alb- bis Cenoman-Alter aufweisen (100 Ma).
Vorwiegend nach Süden einfallende Überschiebungen teilen den Rhenodanubischen Flysch in die einzelnen Decken auf (Abb. 12-25). Im Westen können von Süden nach Norden Oberstdorfer, Üntschen- und Sigiswanger Decke unterschieden werden. Am Ostende der Flyschzone, im Wienerwald, liegen von Süden nach Norden die Kahlenberger, Laaber und Greifensteiner Decke vor. Die Abfolge der Decken folgt jedoch wahrscheinlich nicht ihrer ursprünglichen Anordnung, sondern wurde durch out-of-sequence-Überschiebungen gestört. Vermutlich war der Ablagerungsraum der Laaber Decke ursprünglich der nördlichste, der der Greifensteiner Decke der mittlere, und der der Kahlenberger Decke der südlichste Teil des Beckens. Das Vorhandensein von Out-of-sequence-Überschiebungen wird schon dadurch belegt, dass entlang den Überschiebungen zwischen den einzelnen Flyschdecken häufig Lagen des ursprünglich tektonisch tieferen Ultrahelvetikums sowie teilweise der noch tieferen Molasse-Schichten auftreten („Streifenfenster“). Typisch für die Flyschzone sind auch großmaßstäbliche Falten, meist Synklinalen. Die dazwischenliegenden Antiklinalen sind häufig zerschert und fallen mit den „Streifenfenstern“ oder Out-of-sequence-Überschiebungen zusammen, d.h. dass diese Falten erst entstanden, als der Flysch aufs Ultrahelvetikum überschoben worden war (Abb. 12-25). Die erste Überschiebung des Flyschs auf das Ultrahelvetikum kann erst im Eozän stattgefunden haben, da die Buntmergel des Ultrahelvetikums bis in Eozän reichen. Hierbei wurde der Flysch auch bereits in sich durch Deckenüberschiebungen gestapelt, welche dann teilweise durch die Out-of-sequence-Überschiebungen zerschnitten wurden, wodurch die Deckenabfolge des Rhenodanubischen Flyschs in der erwähnten Weise „aufgemischt“ wurde. Flysch, Ultrahelvetikum und Helvetikum wurden weit nach Norden auf die Molasse überschoben, deren Gesteine in Bohrungen noch weit im Süden unter den Nördlichen Kalkalpen angetroffen wurden.


Kapitel 13: Das Penninikum in den Westalpen
Die penninischen Einheiten bauen vor allem den internen, metamorphen Teil des Westalpenbogens auf. Auf der unmetamorphen Externzone liegen die penninischen Flyschdecken (Helminthoidenflysch) als Deckenreste, in ähnlicher Stellung wie die Decken der Préalpes (Abb. 13-1, 13-2). Die Einteilung aus den Zentralalpen, in obere, mittlere, untere und subpenninische Decken, lässt sich auch auf die Westalpen anwenden, wobei teilweise ähnliche Unsicherheiten bezüglich der paläogeographischen Herkunft einzelner Decken bestehen.
Obere Penninische Decken: Wie in den Zentralalpen gibt es in den Westalpen ozeanische und kontinentale Obere Penninische Decken, sowie zusätzlich die Decken des Helminthoidenflysch im externen Bereich. Über den Ablagerungsraum der letzteren, ob auf kontinentaler oder ozeanischer Kruste, herrscht Ungewissheit, da sie keine Reste ihres ursprünglichen Untergrundes mitgeführt haben.
Die kontinentale Sesia-Decke zieht aus den westlichen Zentralalpen über das Aostatal hinweg, schmäler werdend, nach Süden weiter bis nordwestlich von Turin. Dort liegt nur noch eine dünne Lage von Sesia-Gneisen zwischen zwei Lagen von Ophiolithen: dem Lanzo-Peridotit im Liegenden (entspricht der Sutur des Zermatt-Saas-Beckens) und den Serpentinit-, Gabbro- und Radiolaritlinsen von Levone im Hangenden, die nach meiner Interpretation dem Tsaté-Becken des Piemont-Ligurischen Ozeans entsprechen. Dieser dünne Rest der Sesia-Decke versinkt nach Süden unter der Füllung des Po-Beckens. Ein strukturell tieferer Zug von Sesia-ähnlichen Gneis-Schuppen, eingeschaltet zwischen Ophiolithen , kommt, wie in den westlichen Zentralalpen, auch südlich des Aostatals rund um das Gran-Paradiso-Massiv vor. Die größte davon ist die Schuppe des Mont Emilius bei Aosta (Abb. 13-3).
Die oberpenninischen Decken im internen Teil der Westalpen, als Piemontais-Zone bezeichnet, werden durch die Schistes Lustrés charakterisiert, metamorphe tonig-kalkig-sandige Sedimente der Kreide, ähnlich den Bündnerschiefern. Die Schistes Lustrés umfassen calcitreiche Schiefer aus der Unterkreide, Schwarzschiefer und Quarzite aus dem Apt-Alb, sowie erneut calcitreiche Schiefer aus der Oberkreide. Diese Kreidesedimente wurden teilweise auf ozeanischer, teilweise auf ausgedünnter kontinentaler Kruste abgelagert. Ihr ozeanischer Untergrund liegt in Form von jurassischen Ophiolithen, z.T. mit einer Bedeckung aus metamorphem Radiolarit und Calpionellenkalk, vor. Schuppen von kontinentalem Untergrund der Schistes Lustrés werden auch als Pré-Piemontais bezeichnet. Die letzteren Einheiten umfassen vereinzelt variszisches Kristallin an der Basis (vor allem in Ligurien), Evaporite und Dolomite der Obertrias, unter- und mitteljurassische Sedimente einschliesslich Riftbrekzien, sowie oberjurassische Radiolarite und Calpionellenkalke. Äquivalente der Pré-Piemontais-Einheiten in den Zentralalpen sind die Cimes-Blanches- und Frilihorn-Decke der Combin-Zone sowie die Brekzien-Decke der Préalpes. Es wird meist angenommen, dass die Pré-Piemontais-Einheiten vom internen Rand des Brianconnais-Kontinents stammen; entsprechend unserer Interpretation der Walliser Alpen könnten Sie jedoch auch teilweise vom Cervinia-Mikrokontinent abgeschert worden sein. (Die Pré-Piemontais-Einheiten sind in Abb. 13-1 und 13-2 in der Einheit „Oberes Piemontais“ enthalten.)
Bezüglich der alpinen Metamorphose liegen die oberpenninischen Ophiolithe der internen Westalpen in drei Stockwerken vor: von oben nach unten einem niedrigmetamorphen, einem blauschiefer- bis grünschieferfaziellen (Oberes Piemontais, Abb. 13-2) und einem eklogitfaziellen (Unteres Piemontais). Das oberste Stockwerk wird durch die Chenaillet-Einheit (genau gesagt die obere Einheit des Chenaillet-Komplexes) repräsentiert, eine durch die Erosion isolierte Klippe aus - von unten nach oben - Serpentinit, jurassischem Gabbro (ca. 165 Ma), sedimentären Brekzien mit Gabbro-Klasten, sowie Pillow-Laven (Abb. 13-4). Der Gabbro wird von den Fördergängen der Kissenbasalte durchschlagen. Der Chenaillet-Ophiolith wird als Produkt eines langsam spreizenden ozeanischen Rückens angesehen, eventuell sogar als Relikt eines Oceanic Core Complex. Die Gesteine haben nur eine sehr geringe alpine Metamorphose erfahren (Prehnit-Pumpellyit-Fazies). In den Zentralalpen gibt es keine Ophiolithdecken mit so geringer alpine Metamorphose; die nächsten in dieser Beziehung vergleichbaren Einheiten kommen im nördlichen Teil der Platta-Decke in Graubünden sowie im ligurischen Apennin vor.
Das nächsttiefere Deckenstockwerk (Oberes Piemontais, Abb. 13-1, 13-2) liegt weitgehend in der Blauschieferfazies vor, als Schistes Lustrés mit Schuppen von Ophiolithen und Pré-Piemontais-Trias. Dieses Stockwerk entspricht der Combin-Zone in den westlichen Zentralalpen. Das dritte, unterste Stockwerk der oberpenninischen Decken, das Untere Piemontais, wird von eklogitfaziell metamorphen Ophiolithen mit wenig erhaltener Sedimentbedeckung gebildet und baut unter anderem die Einheiten von Lanzo, Monte Viso und Voltri (in Ligurien) auf. Diese Einheiten können strukturell mit der Zermatt-Saas-Zone in den westlichen Zentralalpen parallelisiert werden. Im Hinblick auf die präalpine Geschichte stellt der Lanzo-Peridotit, ebenso wie der Erro-Tobbio-Peridotit im Voltri-Massiv, ursprünglich subkontinentalen Erdmantel der, der durch Extensionstektonik am Meeresboden des Piemont-Ligurischen Ozeans freigelegt wurde.
Die unmetamorphen Decken des Helminthoidenflysch in der externen Zone der Westalpen kommen in zwei Bereichen vor, in der Gegend von Embrunais und Ubaye zwischen dem Pelvoux- und dem Argentera-Externmassiv, und südöstlich des Argentera-Massivs in Ligurien. Die Flyschdecken liegen auf einer dünnen Lage von mitgeschlepptem Briançonnais und Sub-Briançonnais; darunter folgt die Sedimentbedeckung des Dauphinois. Im Embrunais und Ubaye existieren zwei Helminthoidenflysch-Decken: die strukturell tiefere Autapie-Decke und die höhere Parpaillon-Decke. Beide beinhalten einen Basiskomplex aus dunklen und rötlichen Tonschiefern mit dünnen Sandsteinbänken (Apt bis Cenoman) und darüber den eigentlichen, kalkig-sandigen Helminthoidenflysch aus der Oberkreide. Die Basisüberschiebung des Helminthoidenflyschs wird von der frontalen Überschiebung des Briançonnais „out of sequence“ durchschlagen; weiter östlich liegen Deckenreste des Helminthoidenflyschs auf dem Briançonnais. Die Helminthoidenflysche haben das gleiche Alter wie die Schistes-Lustrés, aber eine andere Sedimentfazies. Sie lagen vermutlich näher am adriatischen Kontinentalrand, von woher die Calcit-Turbidite geschüttet wurden.
Mittlere Penninische Decken: Diese beinhalten die Einheiten des Briançonnais und des Sub-Briançonnais. Das Briançonnais der Westalpen umfasst Decken aus variszischem Grundgebirge und permo-mesozoischen Sedimentgesteinen. Die wichtigsten Grundgebirgskomplexe sind von Norden nach Süden das Ruitor-, Vanoise- und das Ambin-„Massiv“. Sie bestehen aus Schiefern und Gneisen mit variszischer und älterer grünschiefer- bis amphibolitfazieller Metamorphose, die von der alpinen Metamorphose überprägt wird. Ähnliches Briançonnais-Kristallin tritt weiter südöstlich in den Ligurischen Alpen auf.
Die Sedimentbedeckung des Briançonnais ist teilweise noch mit dem Kristallin verbunden, teilweise tritt sie in Form von abgescherten Sedimentdecken auf. Oberkarbon und Perm bestehen aus lokal mächtigen klastischen Serien, vor allem in der Decke der Zone Houillière, die bis in die Walliser Alpen weiterzieht. Untertrias-Sandsteine werden von Trias-Karbonaten mit eingeschalteten Evaporiten überlagert. Während des Lias und Dogger zerbrach die Karbonatplattform in Blöcke, getrennt von meist nach Osten einfallenden Abschiebungen, und wurde gehoben, teilweise über den Meerspiegel, wie Verkarstung und Bauxitbildung zeigen. Große Teile der Prärift-Sedimente wurden erodiert. Die Hebung des Briançonnais steht im Zusammenhang mit dem Rifting, das der Öffnung des Piemont-Ligurischen Ozeans voranging; das Gebiet bildete eine Rift-Schulter, die möglicherweise aufgrund der tektonischen Ausdünnung des darunterliegenden lithosphärischen Mantels isostatisch angehoben wurde. Im Bathonien sank das Gebiet wieder unter den Meerespiegel und wurde im Oberjura von pelagischen Kalken bedeckt. Die Bildung von sedimentären Brekzien und Olistholithen (Rutschmassen) in der Oberkreide und dem ältesten Tertiär, vor allem im internen Briançonnais, spricht für tektonische Bewegungen zu dieser Zeit, die jedoch noch nicht zu Deckenüberschiebungen führten. Im internen Briançonnais hielt die Sedimentation bis ins frühe, im externen Teil bis ins späte Eozän an.
Der internste Teil des Briançonnais in den Westalpen ist die Acceglio-Zone („Ultra-Briançonnais“). In der Acceglio-Zone, dem Ambin- und dem Vanoise-Massiv wird der höchste Grad der alpinen Metamorphose erreicht (beginnende Eklogitfazies). Ansonsten liegt die Metamorphose zwischen Blauschieferfazies im internen Teil und unmetamorph im externen Teil. Früher wurde angenommen, dass die Sedimentdecken im klassischen Profil bei Briançon in einer einfachen Sequenz von Osten nach Westen gestapelt wurden; heute nimmt man zunächst nordgerichtete Überschiebungen und dann westgerichtete out-of-sequence-Überschiebungen an. Noch später trat ostgerichtete Rückscherung und –überschiebung ein, wodurch insgesamt eine Fächerstruktur entstand („eventail Briançonnais“; Abb. 13-2).
Das Sub-Briançonnais liegt als tiefere Deckeneinheit unter dem externen Teil des Briançonnais. Diese Einheit umfasst unmetamorphe Karbonate und Mergel von Trias- bis Oberkreidealter, abgeschert entlang von Evaporiten des Karn. Im unteren und Mittleren Jura bildete das Sub-Briançonnais ein Randbecken nordwestlich der Briançonnais-Riftschulter des Piemont-Ligurischen Ozeans.
Untere Penninische Decken: Die Einheiten des Valaisan keilen innerhalb der Westalpen nach Süden aus. Am Petit St.Bernard-Pass stehen in der eklogitfaziell metamorphen Versoyen-Einheit Ophiolithe an (Serpentinit, Schwarzschiefer mit Gabbro- und Basalt-Lagergängen, Kissenlava), die von der typischen Kreide-Abfolge des Valais-Beckens überlagert werden und deshalb als Ozeanboden des Valais-Beckens interpretiert wurden. Allerdings ergaben Zirkon-Datierungen karbonische und permische Alter für die Lagergänge der Versoyen-Einheit. Auch der in enger Nachbarschaft anstehende Granit der Punta Rossa (Abb. 13-5) hat permisches Alter. Deshalb handelt es sich wahrscheinlich um einen jungpaläozoischen magmatischen Komplex, der durch die Rift-Tektonik bei der Öffnung des Valais-Beckens im Zeitraum Oberjura-Unterkreide „zufällig“ am Boden dieses Beckens freigelegt wurde, zusammen mit Gesteinen des Erdmantels (Serpentinite). Die Kreide-Sedimentfolge zieht vom Petit St.Bernard-Pass noch weiter nach Süden bis Moutiers in Savoyen; dort keilen die Einheiten des Valais-Beckens, und damit die Unteren Penninischen Decken, komplett aus. Dies kann entweder dadurch erklärt werden, dass das Valais-Ozeanbecken primär nach Süden endete, oder dass die Valais-Einheiten durch eine bedeutende, frühalpine (eozäne), sinistrale, etwa nord-süd-verlaufende Seitenverschiebungszone abgeschnitten wurden, sodass ihre Fortsetzung nach Westen (in Richtung Pyrenäen) erst unter dem heutigen Mittelmeer zu suchen wäre.
Die Internmassive der Westalpen
Am internen Rand der penninischen Zone kommen in den Westalpen in zwei domartig aufgewölbten tektonischen Fenstern, dem Gran-Paradiso- und dem Dora-Maira-Massiv, tiefere Einheiten unterhalb der piemont-ligurischen Ophiolithe zum Vorschein. Ihre Stellung ist ähnlich wie die der Monte-Rosa-Decke in den westlichen Zentralalpen.
Im Gran-Paradiso-Massiv sind zwei Deckeneinheiten aufgeschlossen, die höhere Gran-Paradiso-Einheit und die tiefere Money-Einheit. Die Gran-Paradiso-Einheit wird größtenteils von Augengneis aufgebaut, der durch die alpine Metamorphose und Verformung aus permischen (ca. 270 Ma) und möglicherweise auch karbonischen Graniten hervorgegangen ist. Diese Granite intrudierten in ältere Paragneise und Glimmerschiefer, die heutigen Gneiss Minuti. An den Rändern des Massivs kommen Reste einer von Perm bis Lias reichenden Sedimentbedeckung vor, z.B. Trias-Dolomite. In den Gneiss Minuti eingelagerte basische Gesteine wurden alpin, vor etwa 43 Millionen Jahre, in Eklogit umgewandelt. Unter der Gran-Paradiso-Einheit kommt in zwei kleinen Fenstern südlich von Cogne die Money-Einheit zum Vorschein. Sie umfasst eine metamorphe Sedimentserie aus Metakonglomeraten und graphitischen Glimmerschiefern, sowie Orthogneis und etwas Amphibolit. Für die Sedimentserie wird oberkarbonisches bis permisches Alter angenommen. Die Money-Einheit hat eine alpine Metamorphose in der Blauschieferfazies erfahren.
Im Dora-Maira-Massiv sind drei Deckeneinheiten aufgeschlossen, von oben nach unten die Dronero-, Venasca- und Sanfront-Pinerolo-Einheit. Die unterste Einheit, Sanfront-Pinerolo, entspricht der Money-Einheit des Gran-Paradiso-Massivs und enthält Orthogneise, vermutlich karbonische graphitisch-konglomeratische Metasedimente, permo-triassische klastische Metasedimente, sowie Triaskarbonate, mit alpiner Metamorphose in der Blauschiefer-Fazies. Die Venasca-Einheit umfasst bereits präalpin metamorphes Kristallin, spätpaläozoische, mehr oder weniger in Orthogneis umgewandelte Granite und wenig permo-triassische Metasedimente. Der untere Teil der Venasca-Einheit wurde alpin, vor etwa 35 Ma, von Ultrahochdruck-Metamorphose überprägt, was zur Bildung von Coesit und Ellenbergerit, einem titan- und zirkoniumhaltigen Inselsilikat, führte. Der obere Teil erfuhr „nur“ normale eklogitfazielle Metamorphose im Quarz-Stabilitätsfeld. Die Dronero-Einheit schliesslich besteht aus präalpin metamorphem Kristallin, klastischen Metasedimenten von Oberkarbon- bis Untertriasalter, sowie sauren und basischen Magmatiten, das Ganze mit alpiner Metamorphose in der Blauschieferfazies. Die Dronero-Einheit wird durch eine mehrfach unterbrochene Lage aus Ophiolithen und Kalkschiefern von der darunterliegenden Venasca-Einheit getrennt.
Die meisten Autoren rechnen die Decken des Gran-Paradiso- und Dora-Maira-Massivs dem internen Rand des Briançonnais zu. Hierfür spricht die Ähnlichkeit zwischen der Zone Houillière des Briançonnais einerseits und der Money- und Sanfront-Pinerolo-Einheit andererseits. Ich habe im Gegensatz dazu vorgeschlagen, dass die Massive, wie auch die Monte-Rosa-Decke, aus dem europäischen Kontinentalrand nordwestlich der Valais-Sutur stammen. Hierfür spricht das sehr junge Alter (ca. 35 Ma) der Ultrahochdruck-Metamorphose in der Venasca-Einheit des Dora-Maira-Massivs. So junge Alter der Subduktion kommen ansonsten nur in Gesteinen des distalen europäischen Kontinentalrandes vor, in der Adula-Decke (ca. 37 Ma; siehe Kap. 9) und in der Eklogitzone des Tauernfensters (ca. 32 Ma; siehe Kap. 12.2). Die Dronero-Einheit könnte dann dem Briançonnais entsprechen und die Ophiolitlinsen an ihrer Basis eventuell die Valais-Sutur darstellen. Dieser Interpretation folgen Abb. 13-1 und 13-2.
Geologie der Alpen Teil 1: Allgemeines und Ostalpin
Geologie der Alpen Teil 3: Das Südalpin
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