Geologie der Alpen Teil 3: Das Südalpin
Vorlesungsskript von Nikolaus Froitzheim
Das Südalpin umfasst den Teil der Alpen, der südlich der Periadriatischen Linie liegt (Abb. 14-1). Die tektonische Großeinheit Südalpin fällt mit den geographischen Südalpen zusammen (siehe Abb. 1-9). Charakteristisch für das Südalpin ist das weitgehende Fehlen einer alpinen Metamorphose, abgesehen von niedriggradiger Metamorphose (Grünschieferfazies), die lokal entlang der Periadriatischen Linie, also am Nordrand des Südalpins, vorkommt. Das in den Südalpen aufgeschlossene variszische Grundgebirge weist eine von Westen nach Osten abnehmende, variszische Metamorphose auf: Beispielhaft stehen dafür das amphibolitfaziell metamorphe variszische Grundgebirge der westlichsten Südalpen (Serie dei Laghi), der grünschieferfazielle Untergrund der Dolomiten im Mittelteil (z.B. Brixner Quarzphyllit) und das anchizonale bis nichtmetamorphe Paläozoikum der Karnischen Alpen in den östlichen Südalpen (Abb. 14-2). Die postvariszische Bedeckung beginnt lokal mit dem höheren Oberkarbon, enthält in den westlichen und zentralen Südalpen im Unteren Perm große Mengen an Vulkaniten (z.B. Bozener Quarzporphyr), und wird von Osten nach Westen fortschreitend aus dem Tethysbereich überflutet: im Osten sind schon Oberkarbon und Perm teilweise marin, im Westen erst das Anis (Abb. 14-2). Die alpine Überschiebungstektonik ist im Südalpin weniger ausgeprägt als nördlich der Periadriatischen Linie und ist insgesamt nach Süden gerichtet. An seinem Westende keilt das Südalpin aus, da seine Begrenzung, die Periadriatische Linie, nach Südwesten an den Alpenrand zieht und unter Sedimenten des Po-Beckens verschwindet. Im Osten werden die Südalpen durch die externen Dinariden fortgesetzt.
Der Westteil des Südalpins besteht aus dem Lombardisch-Judikarischen Falten- und Überschiebungsgürtel, der sich vom späten Oligozän bis zum späten Miozän entwickelte (Milano-Gürtel; Abb. 14-1). Er ist südvergent und umfasst sowohl das variszische Grundgebirge als auch seine Sedimentbedeckung. Die südlicheren, externen Überschiebungen, die nur die Sedimentbedeckung betreffen, liegen im Untergrund der Poebene verborgen und werden von etwa 6 bis 7 Ma alten Sedimenten des Messin diskordant abgedeckt, wodurch das Ende der Überschiebungsaktivität in diesem Teil der Südalpen markiert wird. Ältere, ebenfalls südgerichtete Überschiebungen, die von 43 Ma alten Teilen der Adamello-Intrusion abgeschnitten werden und also während Oberkreide oder Alttertiär aktiv waren, findet man im nördlichen, internen Teil des Überschiebungsgürtels. Das Gebiet wurde präalpin, im Zuge der Dehnungstektonik vor der Öffnung des Piemont-Ligurischen Ozeans, in Ost-West-Richtung gedehnt und von N-S-streichenden Abschiebungen in Blöcke gegliedert. Im Folgenden werden die einzelnen Teilgebiete von Westen nach Osten vorgestellt.
Kapitel 14: Das Südalpin westlich des Lago Maggiore
14.1. Canavese-Zone
Diese schmale Zone aus kristallinem Grundgebirge mit vermutlich permischen Granitoid-Intrusionen und permisch-mesozoischer Sedimentbedeckung erstreckt sich östlich entlang der Periadriatischen Linie, die hier den Namen Canavese-Linie trägt (Abb. 14-3, 14-4). Die mesozoische Sedimentabfolge ist sehr ähnlich zu der in den distalsten Teilen des jurassischen passiven Kontinentalrandes im Unterostalpin, insbesondere in der Err-Decke in Graubünden (siehe Kapitel 5), und wird charakterisiert durch das Vorkommen von polymikten Riftbrekzien im Unteren und Mittleren Jura, die von Radiolarit des Oberen Dogger bis Malm überdeckt werden (Abb. 14-5, 14-6). Im Jura waren die Canavese-Zone und die Err-Decke also vermutlich aneinander grenzende Teile des südöstlichen Kontinentalrandes des Piemont-Ligurischen Ozens. Die Canavese-Zone wird von der östlich anschließenden Ivrea-Zone durch eine alpine Verwerfung getrennt, die Interne Canavese-Linie. Direkt an der Periadriatischen Linie kommen Linsen von zerstückelten Ophiolithen vor, eingeklemmt zwischen der Canavese-Zone und der penninischen Sesia-Decke, z.B. bei Levone am südlichen Ende der Canavese-Zone (Abb. 14-3). Nach Nordosten entwickelt sich die Canavese-Zone zu einer schmalen Lage von mylonitisierten Marmoren und Kalkschiefern entlang der Periadritiaschen Linie (Abb. 14-7), eingeschaltet zwischen Gesteinen der penninischen Sesia-Decke und der südalpinen Ivrea-Zone; diese Situation liegt z.B. bei Ascona am Westufer des Lago Maggiore vor. In diesem Gebiet fällt die Periadriatische Verwerfung steil nach Nordwesten ein und wird durch ihre Mylonite als Kombination aus Rücküberschiebung und dextraler Seitenverschiebung ausgewiesen.
14.2. Ivrea-Zone
Die Ivrea-Zone (auch Ivrea-Verbano-Zone) besteht aus variszischem Grundgebirge, hauptsächlich Paragneisen, Metabasiten und Marmoren, mit permischer (ca. 285 Ma) temperaturbetonter Metamorphose. Der Grad dieser Metamorphose variiert von Granulitfazies im Nordwesten zu Amphibolitfazies im Südosten. Die granulitfaziellen Paragneise werden als Stronalite (Granat, Plagioklas, Kalifeldspat, Quarz, Sillimanit), die amphibolitfaziellen als Kinzigite (Granat, Biotit, Plagioklas, Quarz, Sillimanit, +/- Muskowit) bezeichnet. Die Metamorphose war verbunden mit der Intrusion von voluminösen, lagenförmigen Gabbro- und Diorit-Körpern („Basischer Hauptzug“). Diese wurden, obwohl ebenfalls permischen Alters, von der permischen Metamorphose und Deformation miterfasst und liegen zum Teil als granatführende, mafische Granulite vor. Die permische Deformation stellte, wenn man die alpine Verformung rückgängig macht, eine Dehnung in Ost-West-Richtung dar, die sich zunehmend in flachliegende, extensionale Scherzonen lokalisierte. Diese Scherzonen umfassen hervorragende Beispiele granulitfazieller Mylonite. Ein schmaler Streifen entlang dem Nordwestrand der Ivrea-Zone wird von alpiner, grünschieferfazieller Mylonitiserung im Zusammenhang mit den Bewegungen entlang der Periadriatischen Linie überprägt.
Die Ivrea-Zone erscheint strukturell als eine aufrechte, stark asymmetrische Antiform, mit dem Scharnier sehr nahe an der Nordwestgrenze (Proman-Antiform; Abb. 14.4, 14-8). Im Kern dieser Antiform oder in der Nähe des Kerns stehen Peridotitkörper an, ummantelt vom „Basischen Hauptzug“. Die wichtigsten dieser Peridotitkörper sind, von Nordosten nach Südwesten, bei Finero (Val Canobbina), Balmuccia (Valsesia) und Baldissero (Canavese) aufgeschlossen. Dies sind Gesteine des subkontinentalen Erdmantels. Betrachtet man den granulitfaziellen Teil der Ivrea-Zone als ehemalige, permische Unterkruste, so stellen die Peridotite den obersten Teil des ehemaligen Mantels dar. Der Nordwestschenkel der Antiform ist in seiner Dicke stark reduziert; in geringer Distanz von den Peridotitkörpern folgt bereits die alpin mylonitierte Zone und darin die dünne Lage von Marmoren und Kalkschiefern, welche die Canavese-Zone nach Nordosten fortsetzt. Der Südostschenkel hingegen umfasst praktisch die ganze Ivrea-Zone mit steilstehendem Lagenbau. Die Proman-Antiform wird meist als alpine Falte angesehen, die die gesamte, allerdings durch Krustendehnung im Lias bereits stark ausgedünnte Erdkruste verformt hat.
Die Ivrea-Zone als geologische Zone an der Erdoberfläche sollte nicht mit dem Ivrea-Körper verwechselt werden. Bei letzterem handelt es sich um eine Masse von Gesteinen hoher Dichte in geringer Tiefe, die sich an der Erdoberfläche durch eine positive Schwereanomalie bemerkbar macht. Der Ivrea-Körper besteht aus Gestein des Erdmantels. Die erwähnten Peridotitmassive können als oberste Teile des Ivrea-Körpers angesehen werden, die an der Erdoberfläche freigelegt wurden (Abb. 14-4). Die Platznahme des Mantelgesteins ist durch eine Kombination von permischer und jurassischer Dehnungstektonik, alpiner Überschiebung nach Nordwesten und alpiner Rückrotation nach Südosten zu erklären.
Der Kontakt zwischen der Ivrea-Zone und der südöstlich anschließenden Serie die Laghi wird von der Cossato-Mergozzo-Brissago-Scherzone (CMB) gebildet. Dies ist eine 2 bis 3 km breite, mylonitische Scherzone mit steilstehender Foliation und variabel orientierter Streckungslineation. Innerhalb der Scherzone treten syntektonische Gänge von Muskowit-Granit und Hornblende-Diorit (auch als Appinit bezeichnet) gehäuft auf, deren Alter bei ca. 280 Ma liegt, also im unteren Perm. Demzufolge ist für die Scherung entlang der CMB ungefähr dasselbe Alter anzunehmen. Es besteht Uneinigkeit über die Orientierung der CMB während der Zeit ihrer Aktivität im Perm: einige Autoren nehmen an, dass sie eine flachliegende, extensionale Scherzone an der Grenze zwischen der Unterkruste (Ivrea-Zone) und der mittleren bis oberen Kruste (Serie dei Laghi) war und erst alpin steilgestellt wurde. Dieser Ansicht folge ich in Abb. 14-4. Andere Autoren sehen sie schon im Perm als steile, sinistrale Seitenverschiebung. Eine weitere duktile Scherzone, die Pogallo-Scherzone, versetzt die CMB im Kartenbild sinistral um ca. 11 km (Abb. 14-3). Die Foliation der Pogallo-Mylonite steht steil und streicht Südwest-Nordost, die Streckungslineation taucht nach Nordosten ein und der Schersinn ist sinistral. Wenn man annimmt, dass die CMB flach lag, als die Pogallo-Scherzone sich bildete, und die Ivrea-Zone und Serie die Laghi mitsamt der Pogallo-Scherzone in die entsprechende Orientierung zurückrotiert, erscheint die Pogallo-Scherzone als flach nach Osten einfallende Abschiebung. Aufgrund von jurassischen Abkühlungsaltern in der südlichen Ivrea-Zone wurde vorgeschlagen, dass die Pogallo-Scherzone im Lias als ostfallende Abschiebung gebildet wurde. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die CMB nach dem Perm noch flach lag; falls sie steil orientiert war, müsste die - offenbar jüngere - Pogallo-Scherzone ebenfalls von Anfang an steil gewesen sein. Verschiedene Autoren nehmen auch für die Pogallo-Linie ein permisches Alter an, entweder als flach einfallende Abschiebung oder als steilstehende Schräg-Seitenverschiebung.
Nach Süden zu verliert sich die CMB in einem permischen Granit (Roccapietra-Granit), der zwischen Ivrea-Zone und Serie die Laghi ansteht. Zudem wird die Grenze Ivrea-Zone/Serie dei Laghi hier von einer jüngeren Störung, der Cremosina-Linie, versetzt. Es handelt sich dabei um eine SW-NE-streichende, alpine, dextrale Seitenverschiebung, oder vielmehr um ein Bündel von solchen Verwerfungen (Abb. 14-3).
14.3. Serie dei Laghi
Serie dei Laghi (Serie der Seen) ist der Sammelbegriff für das amphibolitfaziell metamorphe Grundgebirge der Südalpen, das östlich an die Ivrea-Zone anschliesst und sich auf beiden Seiten des Lago Maggiore von der CMB bis zur Val-Colla-Linie erstreckt (Abb. 14-3). Von vielen Autoren wird dieselbe Zone als Strona-Ceneri-Zone bezeichnet; andere Autoren verwenden den Begriff Strona-Ceneri-Zone nur für einen Teilbereich der Serie dei Laghi und bezeichnen den Rest als Scisti dei Laghi (Seen-Schiefer). Die Serie dei Laghi umfasst vor allem amphibolitfaziell metamorphe Paragneise und Glimmerschiefer sowie aus ordovizischen Graniten hervorgegangene Orthogneise. Daneben kommen auch Amphibolite vor. Die Verteilung der Orthogneise zeichnet einen Faltenbau mit steilen Achsenebenen und meist mittelsteil einfallenden Achsen nach („Schlingentektonik“). Diese Falten bildeten sich in der regionalen dritten Deformationsphase (D3), die zur variszischen Orogenese gehört. Die Serie dei Laghi wird westlich des Lago Maggiore von undeformierten Graniten permischen Alters (ca. 280 Ma) durchschlagen. Hierzu gehören der Baveno- und der oben erwähnte Roccapietra-Granit. Am Südwestende der Serie dei Laghi stehen am Alpenrand mächtige permische Vulkanite, vor allem Rhyolithe, an, die als Caldera-Komplex über dem Roccapietra- und dem Valle-Mosso-Granit interpretiert werden. Granite und Rhyolithe bilden zusammen mit den etwa gleichalten, im MOHO-Bereich der Ivrea-Zone intrudierten Gabbros ein magmatisches System, das über die gesamte Dicke der ehemaligen Kruste aufgeschlossen ist: Basische Schmelzen aus dem Erdmantel intrudierten in der Nähe der Moho und in der Unterkruste als „Basischer Hauptzug“, schmolzen die umgebenden Gesteine auf, woraus entstehende granitische Schmelzen in die mittlere und obere Kruste aufstiegen und dort entweder als Granite in der Serie dei Laghi steckenblieben oder an der Oberfläche als Rhyolithe ausbrachen. Als „Restite“ blieben von der partiellen Aufschmelzung die Kinzigite und Stronalite der Ivrea-Zone zurück.
Die meso- und känozoische tektonische Entwicklung von Canavese-Zone, Ivrea-Zone und Serie die Laghi lässt sich wie folgt zusammenfassen: Im Lias und Dogger wurde die Kruste der heutigen Südalpen in Ost-West-Richtung gedehnt; das Gebiet der heutigen Ivrea-Zone lag im Grenzbereich zwischen einem System von ostfallenden Abschiebungen im Osten, wovon die Pogallo-Verwerfung die westlichste war, und einem System von westfallenden Abschiebungen im Westen (Abb. 14-9). Die Abschiebungen des letzteren Systems durchschlugen die ganze Kruste in der Art der detachment faults in der Err-Decke, deren südliche Fortsetzung sie wohl auch bildeten. Durch diese beiden Abschiebungssysteme wurde die Kruste im Ivrea-Bereich ausgedünnt und der Erdmantel kam dadurch bereits in eine relative Hochlage, wenige km unter der Erdoberfläche. Durch Rotation im Liegenden der westfallenden detachment faults wurde möglicherweise auch bereits der Lagenbau der Ivrea-Zone nach Osten gekippt (Abb. 14-9). Bei der südostgerichteten Subduktion der Penninischen Ozeane unter den Adria-Kontinent, beginnend in der Oberkreide, stellten die Südalpen die Oberplatte dar. Nach der Kontinentkollision im Eozän wurde Material der europäischen kontinentalen Kruste unter die Adria-Platte geschoben; dieses liegt heute unter dem Ivrea-Körper (Abb.14.4), in einem Subduktionskanal zwischen dem adriatischen Mantelkeil oben und der europäischen MOHO unten. Die Ivrea-Zone wurde durch die alpine Verkürzung zur Antiform (Proman-Antiform), deren Nordwestschenkel aufgrund des detachment faulting im Jura bereits vor der Bildung der Falte extrem verdünnt war und in deren Südostschenkel die Kruste der Südalpen steilgestellt wurde. Die Periadriatische Linie bildete sich im Oligozän vermutlich zunächst als südostfallende Abschiebung, wurde in der Folge in nordwestfallende Orientierung rotiert und von rücküberschiebender sowie dextral seitenverschiebender Bewegung überprägt.

Abb. 14-1: Tektonische Skizze der Südalpen, nach Doglioni & Bosellini (1987), Schmid et al. (2004) und anderen Quellen. Die Teilstücke der Periadriatischen Linie von Westen nach Osten: CL – Canavese-Linie; IL – Insubrische Linie; TL – Tonale-Linie; NGL – Nördliche Giudicarie-Linie; PL – Pustertal-Linie; GL – Gailtal-Linie. Weitere Verwerfungen: BÜ – Bassano-Überschiebung; MÜ – Montello-Überschiebung; SGL – Südliche Giudicarie-Linie; SVL – Schio-Vicenza-Linie; VÜ – Valsugana-Überschiebung.

Abb. 14-4: Schematisches Ost-West-Profil der westlichsten Südalpen. CMB – Cossato-Mergozzo-Brissago-Linie; LML – Lago-Maggiore-Linie; PAL – Periadriatische Linie.
Kapitel 15: Das Südalpin zwischen Lago Maggiore und Lago di Como
Dieser Abschnitt der Südalpen ist unter anderem deshalb von großem Interesse, da hier sehr gut erhaltene, spättriassisch-jurassische Dehnungsbecken mitsamt den begrenzenden Abschiebungen zu finden sind, die von alpinen Falten und Überschiebungen nur mäßig verformt wurden: Das Monte-Nudo-Becken und das Monte-Generoso-Becken.
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15.1. Grundgebirge und Prärift-Sedimente
Das amphibolitfaziell metamorphe Grundgebirge der Serie die Laghi setzt sich östlich des Lago Maggiore ins hier betrachtete Gebiet fort. Die Serie dei Laghi grenzt im Südosten an die Val-Colla-Zone (Abb. 14-3, 15-1). Diese besteht aus Glimmerschiefer, Phyllit und charakteristischen leukokraten, granitischen Gneisen, den Gneiss Chiari. Die Ausgangsgesteine der häufig mylonitisch und kataklastisch verformten Gneiss Chiari sind im Ordovizium intrudierte Granite. Die Grenze zwischen Val-Colla-Zone und Serie die Laghi bildet die Val-Colla-Linie, eine mylonitische Scherzone von karbonischem, also variszischem Alter (Abb. 14-3, 15-1).
Die postvariszische Sedimentation beginnt mit pflanzenführenden klastische Sedimente des Oberkarbon. Diese kommen nur lokal vor, darunter das Karbon von Manno, einem Vorort von Lugano (Abb. 15-1). Im unteren Perm wurden zunächst Konglomerate und Sandsteine abgelagert; darüber folgt der bis 1800 m mächtige Vulkanitkomplex von Lugano-Valganna, der sich vom Südteil des Lago di Lugano nach Südwesten erstreckt. Er umfasst Tuffe, Ignimbrite und Laven. Die Zusammensetzung ist rhyolithisch, dazitisch und andesitisch. Der Komplex wird als Produkt einer Caldera-Eruption interpretiert. In die Vulkanite intrudierte gegen Ende der Ausbruchstätigkeit vor ca. 281 Ma der Granit (Granophyr) von Ganna (Abb. 15-1). Konglomerate, Sandsteine und Tonschiefer des Skyth überlagern die Vulkanite. Diese Gesteine markieren die Trangression des Tethys-Meeres von Osten her. Anis und Ladin sind meist als Dolomit ausgebildet (Salvatore-Dolomit, nach dem Monte San Salvatore bei Lugano; Abb. 15-1). Abwechslungsreicher ist die Mitteltrias am Monte San Giorgio, zwischen den beiden Südzipfeln des Lago di Lugano gelegen. Hier folgt auf anisischen Dolomit die wenige Meter mächtige Grenzbitumenzone, eine weltbekannte Fossillagerstätte vor allem von Fischen und Reptilien. Darüber folgt das Ladin, zunächst dolomitisch (Monte-San-Giorgio-Dolomit), dann kalkig (Meride-Kalk). Der letztere enthält, ebenfalls am Monte San Giorgio, weitere wichtige Fossilhorizonte. Im Karn folgen die Raibler Schichten mit Dolomiten, klastischen Sedimenten und Evaporiten.
15.2. Dehnungstektonik und Beckenbildung
Der darauffolgende norische Hauptdolomit enthält lokal bituminöse, mergelige Abschnitte. Sie wurden in lokalen Becken abgelagert, die von synsedimentären Abschiebungen begrenzt wurden. Im Nor macht sich erstmals auch die Luganer Verwerfung (Abb. 15-1), d.h die westliche Randverwerfung des Monte-Generoso-Beckens, durch Unterschiede in der Subsidenz bemerkbar: westlich der Luganer Linie ist der Hauptdolomit nur ca. 400 m mächtig, östlich davon über 1000 m. Das Rhät besteht im Generoso-Becken an der Basis aus Tonsteinen und Mergeln (Riva di Solto-Schiefer), gefolgt von Kalken (Calcare di Zu) und zuoberst Dolomit (Conchodon-Dolomit; Abb. 15-2, 15-3). Auch im Rhät war die Subsidenz im Generoso-Becken wesentlich stärker als westlich der Luganer Verwerfung, wo das Rhät unter 100 m mächtig ist und teilweise ganz fehlt. Im Lias bildete sich durch verstärkte Abschiebungsbewegungen eine untermeerische Bruchstufe entlang der Luganer Verwerfung und es kam zur Ablagerung extrem unterschiedlicher Serien auf der Hochscholle und im Becken. Im Becken wurde im frühen Lias von Hettangium bis Pliensbachium der Lombardische Kieselkalk (Moltrasio-Kalk) mit einer Mächtigkeit von bis zu 4000 m abgelagert. Da das Becken die Form eines nach Westen gekippten Halbgrabens hatte, wird die größte Mächtigkeit nahe bei der Luganer Verwerfung erreicht. Von der Bruchstufe an der Luganer Verwerfung ausgehend, wurden Rutschmassen, Schuttströme und Turbidite ostwärts geschüttet, die sich nach Osten mit kieseligen Kalken und Mergeln verzahnen. Andererseits führte die Kippung des Beckens zu westgerichteten Rutschungen des eben erst abgelagerten Lombarischen Kieselkalks, teilweise mittels listrischer Abschiebungen (Abb. 15-4, 15-5). Die gleiche Zeitspanne des Lias wird auf der Luganer Schwelle durch den Broccatello d’Arzo (Hettangium-Sinemurium) und den Besazio-Kalk (Frühes Pliensbachium) vertreten, geringmächtige, teils rötlich gefärbte Kalksteine einer untermeerischen Schwelle. Am Ostrand der Luganer Schwelle wurden Broccatello d’Arzo und Besazio-Kalk nicht als eigenständige Schichten abgelagert, sondern bilden die Matrix von Brekzien mit Rhät- und Hauptdolomit-Komponenten. Diese als Macchia vecchia bezeichneten Brekzien füllen Spalten und Karsthohlräume im Hauptdolomit (Abb. 15-6). Broccatello, Besazio-Kalk und Macchia vecchia wurden in den Steinbrüchen von Arzo als wertvolle Bausteine z.B. für Altäre abgebaut. Im oberen Pliensbachian war die Aktivität der Luganer Verwerfung weitgehend abgeschlossen; die folgenden Sedimente von oberem Pliensbach-, Toarc- und Dogger-Alter weisen aber häufig noch Rutschungsstrukturen auf, da die Morphologie des Meeresbodens aufgrund der vorausgegangenen Dehnungstektonik noch uneben war (Abb. 15-7).
Die Luganer Verwerfung ist zwischen Mendrisio und Lugano noch in ihrer ursprünglichen Geometrie als steil ostfallende, Nord-Süd-streichende Abschiebung erhalten und grenzt Lombardischen Kieselkalk im Osten von Perm und Trias im Westen ab (Abb. 15-1). Allerdings ist es zu einer Reliefumkehr gekommen: Der Lombardische Kieselkalk der Beckenfüllung ist erosionsresistenter und bildet die Berge des Monte-Generoso-Massivs; im Perm- und Trias-Areal der Luganer Schwelle liegen tief ausgeräumte Täler mit dem größten Teil des Lago di Lugano. Im Norden biegt die Luganer Verwerfung in einer weiten Kurve nach Osten um und zieht, als Monte-Grona-Linie bezeichnet, nach Osten zum Lago di Como (Abb. 15-1). Dieses Umbiegen ist jedoch nicht primär, sondern wird durch die alpine Tektonik bewirkt. Die ursprüngliche Geometrie war listrisch, d.h. die Luganer Verwerfung fiel nahe der Oberfläche steil ein und wurde nach unten flacher. Am Kontakt zum varizischen Grundgebirge war sie als flach einfallende Detachment fault ausgebildet, mit grünschieferfaziellen Myloniten unten und Kataklasiten darüber. Nördlich des Luganer Sees wurde durch die Alpine Faltung das Grundgebirge flexurartig hochgebogen und mit ihm die Luganer Verwerfung, sodass die ursprünglich flach ostfallende abschiebende Verwerfung als steilstehende, sinistrale Verwerfung samt Myloniten und Kataklasiten an der Oberfläche freigelegt wurde. Auf weite Strecken verläuft sie zwischen Hauptdolomit im Süden und Grundgebirge im Norden; kurz vor dem Lago di Como zieht sie ins Grundgebirge hinein. Östlich des Lago di Como lässt sie sich noch durch das Val Grande (in der Tat ein ziemlich kleines Tal) bis Camaggiore verfolgen (Abb. 15-8), wo typische grünschieferfazielle Mylonite aufgeschlossen sind; ihr weiterer Verlauf ist unklar.
Das westlich der Luganer Schwelle gelegene Monte-Nudo-Becken hat eine ähnliche Form und Geschichte wie das Generoso-Becken; auch hier handelt es sich um einen westwärts gekippten Halbgraben an einer ostfallenden Hauptverwerfung, der Lago-Maggiore-Verwerfung, die das Becken von der westlich anschließenden Gozzano-Schwelle trennte (Abb. 14-3, 14-4). Die Beckenbildung ist jedoch jünger als im Generoso-Becken. Sie begann erst im Lias und reichte bis ins Obere Pliensbachium, das im Generoso-Becken bereits posttektonisch ist. Die Dehnungstektonik schritt also nach Westen voran, entgegen der Einfallsrichtung der großen Abschiebungen. Analoge Verhältnisse finden sich in den Ostalpinen Decken Graubündens. Die Ortler-Decke stellt die ehemalige Nordfortsetzung des Generoso-Beckens dar und die Ela-Decke diejenige des Monte-Nudo-Beckens. Das ostalpine Analog zum Lombardischen Kieselkalk sind die Allgäuschichten und das Analog zur Macchia vecchia die Alv-Brekzie.
15.3. Postrift-Sedimente und alpine Tektonik
Nach der mit der Krustendehnung verbundenen starken Absenkung wurden geringmächtige pelagische Sedimente mit häufigen Schichtlücken abgelagert, die im hier behandelten Abschnitt der Südalpen nur in der Nähe des Alpenrandes anstehen. Typische Schichten sind im Toarcium die cepahalopdenreichen, knolligen Kalke und Mergel des Ammonitico Rosso, im Malm bis zum mittleren Tithon die Radiolaritgruppe und im oberen Tithon bis Barreme weiße pelagische Kalkmikrite (Maioloca). Darauf folgt die Scaglia-Formation, pelagische Mergel des Apt, Alb und Cenoman, die nach ihrer Farbe in Scaglia Variegata (unten), Scaglia Bianca (Mitte) und Scaglia Rossa (oben) eingeteilt werden. Darüber folgt der Lombardische Flysch von spätem Cenoman- bis Campan-Alter, der von weiter nördlich ablaufender Tektonik, Hebung und Erosion zeugt. Diese Schichten fallen ungefähr nach Süden bis Südwesten ein und verschwinden unter den Molasse-Gesteinen der Gonfolite-Lombarda-Gruppe, die Oberoligozän bis Mittelmiozän umfassen. Der Kontakt zwischen Flysch und Gonfolite Lombarda ist eine nach Norden gerichtete alpine Rücküberschiebung, die Monte-Olimpino-Überschiebung (Abb. 15-1). Auch am Nordrand des heutigen Generoso-Beckens kam es zu kleineren nordgerichteten Rücküberschiebungen. Der Lombardische Kieselkalk des Generoso-Beckens wurde gefaltet und von einer größeren südgerichteten Überschiebung, der Generoso-Überschiebung (Abb. 15-1), verkürzt. Teile der Nord-Süd-verlaufenden Luganer Verwerfung wurden bei der alpinen Tektonik als Seitenverschiebung reaktiviert, wie daran zu erkennen ist, dass die Generoso-Überschiebung in ihrem Westteil nach Norden umbiegt und in die Luganer Verwerfung mündet.

Abb. 15-4: Flachstück einer listrischen Abschiebung im Lombardischen Kieselkalk. Osten ist links. Straße von Caneggio nach Bruzella im Valle Muggio nördlich von Chiasso.

Abb. 15-5: Entstehung der in Abb. 15-4 gezeigten Lagerungsverhältnisse durch eine listrische Abschiebung. Der Pfeil gibt die Lokalität des Aufschlusses an.

Abb. 15-6: Gesägter Block von Macchia-vecchia-Brekzie im Steinbruch bei Arzo. Hauptdolomit (grau) wurde im Rhät tektonisch zerklüftet, verkarstet, und die Hohlräume mit weißem Calcitzement ausgekleidet. Die verbleibenden Hohlräume wurden im frühen Lias mit pelagischem Kalkschlamm verfüllt (Broccatello d’Arzo, rosa).

Abb. 15-7: Slumping-Falten in Kalken und Mergeln des oberen Lias bis Dogger (Ammonitico-Rosso-Fazies); Breggia-Schlucht.

Abb. 15-8: Blick nach Osten über den Lago di Como entlang der Monte-Grona-Linie. Der Felsen im Vordergrund besteht aus grünschieferfaziellen Myloniten der jurassischen Lugano-Monte-Grona-Verwerfung. Diese entstanden in einer flachen, extensionalen Scherzone und wurden bei der alpinen Faltung steilgestellt; die heutige Lage der Foliation ist senkrecht. Jenseits des Sees markiert der dunkle Einschnitt in der Mitte das Tälchen „Val Grande“, es stellt den weiteren Verlauf der Monte-Grona-Linie dar. Kataklasite an der Bruchfläche wurden bevorzugt abgetragen und führten zur Bildung des Einschnitts. Grünschieferfazielle Mylonite stehen links davon an, ursprünglich im Liegenden der Kataklasite.
Geologie der Alpen Teil 1: Allgemeines und Ostalpin
Geologie der Alpen Teil 2: Das Penninikum
Quellen der Abbildungen:
Bernoulli, D. (1964): Zur Geologie des Monte Generoso (Lombardische Alpen). Beiträge zur Geologischen Karte der Schweiz, N.F., 118, 1-134.
Bertotti, G. (1991): Early Mesozoic extension and Alpine shortening in the western Southern Alps: The geology of the area between Lugano and Menaggio (Lombardy, Northern Italy). Memorie di Scienze Geologiche, Padova, 43, 17-123.
Bögel, H. & Schmidt, K. (1976): Kleine Geologie der Ostalpen. Ott Verlag, Thun.
Doglioni, C. & Bosellini, A. (1987): Eoalpine and Mesoalpine tectonics in the Southern Alps. Geologische Rundschau, 76/3, 735-754.
Ferrando, S., Bernoulli, D., Compagnoni, R. (2004): The Canavese zone (internal western Alps), a distal margin of Adria. Schweizerische Mineralogische und Petrologische Mitteilungen, 84, 1-20.
Schmid, S.M., Zingg, A., Handy, M. (1987): The kinematics of movements along the Insubric line and the emplacement of the Ivrea zone. Tectonophysics, 135, 47-66.